Justiz
wissen.«
»Henry Zuppey«, sagte der Kommandant. »Wann sind sie bei Ihnen gewesen?«
»Von sieben bis neun.«
»Hatte es schon geregnet, als sie gekommen sind?« fragte der Kommandant.
»Sie sind gekommen, bevor es geregnet hat«, antwortete ich. »Um nicht durchnäßt zu werden. Warum?«
Der Kommandant betrachtete den Aschenbecher. »Stuber von der 113
Sitte hat Sie, Lucky und den Marquis gesehen, als Sie um neun Ihre Bude verlassen haben. Wo sind Sie dann hingegangen?«
»Ich?«
»Sie.«
»Ins ›Höck‹. Ich habe zwei Whisky getrunken. Lucky und der Marquis sind ins ›Monaco‹ gegangen.«
»Das weiß ich«, sagte der Kommandant. »Ich habe sie dort verhaftet. Aber nun muß ich sie freilassen. Sie haben ein Alibi. Sie haben bei Ihnen geraucht. Zwei Stunden lang.« Er betrachtete wieder den Aschenbecher. »Ich muß Ihnen glauben, Spät. Einer, dem es um die Gerechtigkeit geht, liefert zwei Mördern kein Alibi. Das wäre absurd.«
»Wer ist ermordet worden?« fragte ich.
»Daphne«, antwortete der Kommandant. »Das Mädchen, das sich als Monika Steiermann ausgegeben hat.«
Ich setzte mich hinter meinen Schreibtisch.
»Ich weiß, Sie sind im Bild«, sagte der Kommandant. »Sie haben die echte Monika Steiermann besucht, die hat die falsche fallenlassen, und so ist Daphne Müller denn auf den Strich gegangen.
Ohne sich mit Lucky und Zuppey zu einigen. Und jetzt hat man sie tot in ihrem Mercedes auf dem Parkplatz am Hirschenplatz gefunden.
Gegen halb neun. Um sieben ist sie gekommen, aber im Wagen geblieben. Es hat ja mordsmäßig gewittert. Na, Lucky und Zuppey haben jetzt ein Alibi und hatten keine Waffe bei sich, und ihre Regenmäntel sind trocken gewesen. Ich muß sie laufenlassen.« Er schwieg. »Ein verdammt schönes Mädchen«, sagte er dann. »Haben Sie mit ihr geschlafen?«
Ich antwortete nicht.
»Ist ja auch nicht wichtig«, meinte der Kommandant und zündete sich eine seiner Bahianos an, hustete.
»Sie rauchen zuviel, Kommandant.«
»Ich weiß, Spät«, antwortete der Kommandant. »Wir alle rauchen zuviel.« Er schaute wieder auf den Aschenbecher. »Aber ich sehe, daß Sie mir eine gewisse Aufmerksamkeit schenken. Nun, ich schenke Ihnen ja auch eine gewisse Aufmerksamkeit: Ein undurchsichtiger Mensch, wie Sie einer sind, ist mir noch nie 114
vorgekommen. Haben Sie eigentlich keinen Freund?«
»Ich schaffe mir nicht gern einen Feind an«, antwortete ich.
»Wollen Sie mich verhören, Kommandant?«
»Nur neugierig, Spät«, wich der Kommandant aus. »Sie sind noch nicht einmal dreißig.«
»Ich hab es mir nicht leisten können, mein Studium zu verbummeln«, antwortete ich.
»Sie sind unser jüngster Rechtsanwalt gewesen«, meinte der Kommandant, »und jetzt sind sie keiner mehr.«
»Die Aufsichtskommission ist ihrer Pflicht nachgekommen«, sagte ich.
»Wenn ich mir nur ein Bild von Ihnen machen könnte«, sagte der Kommandant, »fiele es mir dann leichter, Sie zu verstehen. Aber ich kann mir kein Bild machen. Als ich Sie zum ersten Mal besucht habe, hat mir Ihr Kampf für die Gerechtigkeit eingeleuchtet, und ich bin mir schäbig vorgekommen, aber jetzt leuchten Sie mir nicht ein.
Das Alibi nehme ich Ihnen noch ab, aber daß es Ihnen um die Gerechtigkeit geht, nehme ich Ihnen nicht mehr ab.«
Der Kommandant erhob sich. »Sie tun mir leid, Spät.
Daß Sie in eine absurde Geschichte verstrickt sind, ist mir klar, daß Sie dabei selber absurd werden, ist wohl nicht zu ändern. Ich denke, darum lassen Sie sich fallen. Hat Kohler wieder einmal geschrieben?«
»Aus Jamaika«, antwortete ich.
»Wie lange ist er jetzt weg?«
»Über ein Jahr«, sagte ich, »fast anderthalb Jahre.«
»Der Mensch saust kreuz und quer um den Erdball«, sagte der Kommandant. »Aber vielleicht kommt er doch bald zurück.«
Dann ging er.
Nachschrift. Wieder drei Tage später: Daß ich mit Daphne geschlafen hatte, verschwieg ich dem Kommandanten. Er fragte ja auch nicht weiter, und es war ihm nicht wichtig. Ich habe lange überlegt, ob ich es niederschreiben soll. Aber der Kommandant hat recht, es ist alles so unsinnig geworden, daß es keinen Sinn hat, 115
etwas zu verschweigen: Zur Realität gehört auch das Schändlichste, zu diesem Schändlichen gehört meine Rolle, die ich beim Untergang Daphnes spielte, auch wenn der Grund ein Racheakt der »echten«
Monika Steiermann war. Nach dem Skandal war Daphne fast ein Jahr lang unauffindbar gewesen. Kein Mensch wußte, wo sie war, auch Lienhard nicht, wie
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