Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
Vom Netzwerk:
sein Glas gegen die Stehlampe.
    »Wieviel beträgt der Vorschuß?« fragte er.
    »Fünfzehntausend und zehntausend als Spesen.«
    Die Treppe kam ein Mann mit einer Tasche herunter, offenbar der Arzt, zögerte, überlegte, ob er zu uns kommen solle, dann kam die Hausdame, führte ihn hinaus.
    »Sie werden Mühe haben, das abzustottern«, meinte Stüssi-Leupin:
    »Wieviel im ganzen?«
    »Dreißigtausend und die Spesen«, antwortete ich.
    »Ich biete Ihnen vierzigtausend, und Sie übergeben mir, was Sie ermittelt haben.«
    Ich zögerte.
    »Sie wollen den Revisionsprozeß führen.«
    Er betrachtete immer noch sein Glas mit dem roten Talbot. »Meine Angelegenheit. Verkaufen Sie mir nun die Papiere?«
    »Ich muß wohl«, antwortete ich.
    Er trank das Glas aus. »Sie müssen nicht, Sie wollen.« Dann füllte er das Glas von neuem, hielt es wieder gegen das Licht.
    128
    »Stüssi-Leupin«, sagte ich und fühlte mich gleichwertig, »kommt es zum Prozeß, werde ich Bennos Anwalt.«
    Ich ging. Als ich den Schatten eines Findlings erreicht hatte, sagte er noch: »Sie sind nicht dabeigewesen, hämmern Sie sich das ein, Spät, Sie sind nicht dabeigewesen, und ich bin nicht dabeigewesen.«
    Dann leerte er sein Glas und schlief wieder ein.
    … Dr. h.c. Isaak Kohler hat mir telegrafisch seine Ankunft angezeigt: Er wird übermorgen um 22 Uhr 15 von Singapur kommend landen, und ich werde ihn erschießen, und dann werde ich mich erschießen. Damit bleiben mir noch zwei Nächte, meinen Bericht zu Ende zu führen. Die Ankündigung überraschte mich, vielleicht, daß ich nicht mehr an seine Rückkehr glaubte. Zugegeben, ich bin betrunken. Ich war im ›Höck‹, ich war in der letzten Zeit immer im ›Höck‹, an den langen Holztischen, zwischen ebenfalls Betrunkenen. Lebe von Giselle und von den Mädchen, die seit dem Tode des Marquis hierhergezügelt sind, nicht von Neuchâtel, sondern von Genf und Bern, während viele von hier nach Genf oder Bern gezogen sind, eine beträchtliche Umorganisiererei hat eingesetzt, mit der ich persönlich nichts zu tun habe, legal darf ich nichts tun, und illegal habe ich nichts zu tun, als auf übermorgen 20 Uhr 15 zu warten. Luckys Position hat der Orchideen-Noldi übernommen, er soll von Solothurn kommen, in Frankfurt Karriere gemacht haben und ist sehr vornehm, seine Mädchen tragen jetzt Orchideen, die Polizei ist wütend, Orchideen lassen sich nicht verbieten, eine Juristin aus Basel, die um ein Uhr nachts beim Bellevue über die Straße ging, eine Orchidee an der Bluse – sie kam von einer Diskussion über das Frauenstimmrecht im Fernsehen –, wurde verhaftet, sie hatte nichts bei sich, sich auszuweisen, es entstand ein Bombenskandal, die Polizei, der Polizeivorsteher – letzterer durch ein ungeschicktes Dementi – machten sich lächerlich. Orchideen-Noldi herrscht unumschränkt, hat sich jetzt Rechtsanwalt Wieherten geholt, einen unserer angesehensten Rechtsanwälte, der sich aus sozialen Beweggründen für das Recht jener Damen, die schließlich auch Steuern zahlen, einsetzen will und die Einführung von 129
    Massagesalons befürwortet. Mir selber deutete der Orchideen-Noldi an, daß ich »mit meinem Lebenswandel« für das Gewerbe nicht mehr tragbar sei, aber er werde mich nicht fallenlassen, das sei er Lucky schuldig, er habe mit seinem Personal, wie er sich ausdrückte, gesprochen, so daß ich einstweilen im ›Höck‹ bleiben darf, auch der Kommandant hat mich nicht mehr belästigt, niemand scheint daran interessiert zu sein, wie Lucky und der Marquis ums Leben gekommen sind, und der doch unaufgeklärte Tod Daphnes ist in Vergessenheit geraten. So bin ich denn zwar kein Zuhälter, aber ein Ausgehaltener. Wenn mich im ›Höck‹ die Gäste um Adressen fragen, mit denen ich, ohne Geld zu verlangen, herausrücke, worauf mir die Gäste – meist ältere Herren – den Whisky bezahlen, ist das nur nobel, eigentlich selbstverständlich. Das zur Begründung meines alkoholisierten Zustandes, meiner schlechten Handschrift und meiner Eile, denn ehrlich gesagt, als ich das Telegramm Kohlers vorfand, ging ich vorerst auf eine Sauftour, kam irgendwie in die Spiegelgasse zurück und sitze nun zwanzig Stunden später an meinem Schreibtisch. Zum Glück habe ich noch eine Flasche Johnnie Walker bei mir, zu meiner Verwunderung, aber jetzt erinnere ich mich an den Zahnarzt aus Thun, der mich im ›Höck‹ aufgesucht hat und den ich Giselle im ›Monaco‹ vorgestellt habe – ich bin vom

Weitere Kostenlose Bücher