Justiz
Möbel habe er draufhin fortschaffen lassen.
Alles modernes Zeug.
Dann sagte er, sich Wein einschenkend: »Kommen wir zur Sache, Spät.«
Ich berichtete vom Auftrag Dr. h.c. Isaak Kohlers.
Er sei im Bild, unterbrach Stüssi-Leupin meine Ausführungen, trank, auch die Knulpes seien bei ihm gewesen. Über meinen Auftrag habe ihn Hélène unterrichtet, Kohlers Tochter, und die Recherchen Lienhards und Konsorten habe er auch studiert.
Ich erzählte von meinen Überlegungen über Kohlers Motive, von Hélènes Verdacht, er sei gezwungen worden, den Mord zu begehen, berichtete auch von meiner Begegnung mit Daphne, von meinem Besuch bei der echten Monika Steiermann und vom Auftauchen Bennos in meinem Büro.
»Junger Mann, haben Sie eine Chance«, staunte Stüssi-Leupin und schenkte sich erneut Wein ein.
»Ich verstehe nicht, was Sie damit meinen«, antwortete ich unsicher.
»Natürlich verstehen Sie«, entgegnete Stüssi-Leupin, »sonst wären Sie nicht zu mir gekommen. Machen wir einmal das Spiel Kohlers mit. Einmal angenommen, er sei nicht der Mörder, ist ein anderer Mörder verdammt leicht zu finden. Es kann nur Benno sein, darum schlottert er ja. Er hat über zwanzig Millionen von der vermeintlichen Steiermann durchgebracht, Winter hat die echte Steiermann aufgeklärt, die Verlobung geht in Brüche, Benno wird ruiniert, schießt Winter im ›Du Théâtre‹ über den Haufen. Voilä. Das ist die Version, die Ihr Auftraggeber braucht und die Sie brauchen werden.«
Stüssi-Leupin hielt sein Glas gegen das Licht der Stehlampe. Vom Städtchen her tutete es herauf, minutenlang, nach den stehenden Lichtern der Scheinwerfer zu schließen, hatten sich die Autokolonnen ineinander verkeilt.
Stüssi-Leupin lachte: »Ausgerechnet einem Grünschnabel wie 124
Ihnen muß der schönste Revisionsprozeß des Jahrhunderts in den Schoß fallen.«
»Ich habe keinen Auftrag, einen Revisionsprozeß zu führen«, sagte ich.
»Der Auftrag, den Sie angenommen haben, führt dazu.«
»Kohler hat Winter ermordet«, stellte ich fest.
Stüssi-Leupin wunderte sich. »Na und?« sagte er. »Sind Sie dabeigewesen?«
Hinten im Raum kam eine schwarze Gestalt die Holztreppe herunter und hinkte auf uns zu. Beim Näherkommen erkannte ich, daß es sich um einen Priester handelte, der eine kleine schwarze Handtasche trug. Er blieb etwa drei Meter vor Stüssi-Leupin stehen, hustete, die Scheiben tauchten wieder herauf, die Scheinwerfer setzten ein, die granitenen Götter warfen ihre Schatten in den wieder geschlossenen Raum. Der Priester war uralt, schief, verrunzelt und hatte einen Klumpfuß.
»Ihre Frau hat die Letzte Ölung bekommen«, sagte er.
»In Ordnung«, sagte Stüssi-Leupin.
»Ich werde für sie beten«, versicherte der Priester.
»Für wen?« fragte Stüssi-Leupin.
»Für Ihre Frau«, präzisierte der Priester.
»Ihr Beruf«, antwortete Stüssi-Leupin gleichgültig und schaute auch nicht hin, als der Priester etwas murmelte und dem Ausgang zuhinkte, wo ihm die Hausdame, die auch mich hereingelassen hatte, die Tür öffnete.
»Meine Frau liegt im Sterben«, meinte Stüssi-Leupin beiläufig und trank sein Glas aus.
»Unter diesen Umständen …«, stammelte ich und erhob mich.
»Mein Gott, Spät, sind Sie zimperlich«, sagte Stüssi-Leupin.
»Nehmen Sie wieder Platz!«
Ich setzte mich, er schenkte sich neu ein. Die Glaswände versanken in die Erde, die Scheinwerfer erloschen, wir saßen wieder im Freien.
Stüssi-Leupin starrte vor sich hin.
»Meine Frau hat die Größe, mir die Tortur zu ersparen, ihrem Sterben beizuwohnen«, sagte er, und es klang gleichgültig, »dazu ist 125
der Priester bei ihr gewesen, und jetzt sind der Arzt und eine Krankenschwester bei ihr. Meine Frau, Spät, sie ist nicht nur saulebenslustig gewesen, saureich und saukatholisch, sie ist auch sauschön. Komisch, unser Schweizerdeutsch. Sie hat mich ein Leben lang betrogen. Der Arzt, der bei ihr sitzt, ist ihr letzter Liebhaber gewesen. Aber ich verstehe sie. Ein Mann wie ich ist Gift für die Weiber.«
Er lachte vor sich hin, wechselte dann unvermittelt das Thema.
Ich sei ein Narr, meinte er, ich hielte Dr. Isaak Kohler für schuldig.
Er, Stüssi-Leupin, auch. Zwar widersprächen sich alle Zeugen, zwar sei die Mordwaffe nie gefunden worden, zwar fehle ein Motiv.
Trotzdem. Wir hielten ihn für schuldig. Warum? Weil der Mord in einem überfüllten Restaurant geschehen sei. Die Anwesenden hätten es irgendwie bemerkt, auch wenn sie sich nun
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