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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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widersprächen. Wir wüßten es also nicht unbedingt, aber wir glaubten es unbedingt. Das habe ihn schon beim Prozeß gewundert. Weder sei nach dem Revolver gefragt noch seien Zeugen vernommen worden, auch habe sich der Richter mit der Aussage des Kommandanten zufriedengegeben, der zwar bei der Tat in der Nähe gesessen sei, aber weder erwähnt habe, ob er den Mord direkt gesehen oder Zeugen vernommen hatte, dazu sei der Verteidiger eine Niete und Jämmerlin in Hochform gewesen. Wir hätten unsere liebe Mühe, unser Wissen über Kohlers Schuld unserem Glauben an Kohlers Schuld anzugleichen. Unser Wissen hinke unserem Glauben hinterher, ein geschickter Verteidiger fabriziere allein aus dieser Diskrepanz schon einen Freispruch. Doch sollten wir unserem guten Jämmerlin noch eine Chance geben, nach einem Motiv zu suchen.
    Kohler habe mir den lukrativen Auftrag zugeschanzt, weil ich nichts von Billard verstehe. Ich hätte daraus den Schluß gezogen – er habe aufmerksam zugehört –, Kohler hätte getötet, um zu beobachten, gemordet, um die Gesetze der Gesellschaft zu untersuchen, und nur deshalb sein Motiv nicht angegeben, weil er damit vor Gericht keinen Glauben gefunden hätte. Lieber Freund, er könne dazu nur sagen, so ein Motiv sei zu literarisch, Schriftsteller erfänden solche Motive, wenn er auch glaube, bei einem Mann wie Kohler müsse es sich um ein besonderes Motiv handeln. Aber um welches?
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    Stüssi-Leupin überlegte.
    »Sie haben den falschen Schluß gezogen«, sagte er dann. »Weil Sie von Billard nichts verstehen. Kohler hat á la bande gespielt.«
    »A la bande«, erinnerte ich mich. »Das hat Kohler einmal gesagt.
    Beim Billard im ›Du Théâtre‹. ›A la bande, so muß man den Benno schlagen.‹«
    »Und wie hat er gespielt?« fragte Stüssi-Leupiri.
    »Ich weiß nicht recht«, dachte ich nach. »Kohler hat die Kugel an die Umrandung gespielt, von dort ist die Kugel zurückgeprallt und hat Bennos Kugel getroffen.«
    Stüssi-Leupin schenkte sich Wein ein.
    »Kohler hat Winter erschossen, um Benno zu erledigen.«
    »Warum denn?« fragte ich verständnislos.
    »Spät, Sie sind auch gar zu naiv«, wunderte sich Stüssi-Leupin.
    »Dabei hat Ihnen die Steiermann das Stichwort geliefert. Kohler führt ihre Geschäfte. Auch vom Zuchthaus aus. Der flechtet nicht nur Körbe. Die Steiermann braucht Kohler, und Kohler braucht die Steiermann, Lüdewitz ist Attrappe. Aber wer ist Herr, wer Knecht?
    Irgendwie hat Kohlers Tochter recht. Es war ein Gefälligkeitsmord.
    Warum nicht? Auch eine Art Erpressung. Die Abermillionen liegen bei der Steiermann, die zwanzig Millionen waren ihre zwanzig Millionen, da wird Kohler gespurt haben, und so hat er über Winter Benno erledigt. Auf Wunsch der Steiermann. Vielleicht brauchte sie den Wunsch gar nicht auszusprechen. Vielleicht hat er ihn nur erraten.«
    »Eine noch wahnwitzigere These als die Wahrheit«, sagte ich.
    »Die Steiermann hat Benno geliebt, weil Daphne ihn geliebt hat, und hat ihn erst fallenlassen, als Daphne sie verlassen hat.«
    »Eine realistischere These als die Wahrheit. Die ist meistens unglaubhaft«, entgegnete er.
    »Ihre These wird kein Mensch abnehmen«, sagte ich.
    »Die Wahrheit wird kein Mensch abnehmen«, antwortete er, »kein Richter, kein Geschworener, nicht einmal Jämmerlin. Sie spielt sich in Etagen ab, die für die Justiz unerreichbar sind. Die einzige These, die der Justiz einleuchten wird, kommt es zum Revisionsprozeß, ist die, daß Dr. Benno der Mörder ist. Er allein hat ein handfestes Motiv.
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    Auch wenn er unschuldig ist.«
    »Auch wenn er unschuldig ist?« fragte ich.
    »Stört Sie das?« antwortete er. »Auch seine Unschuld ist eine These. Er ist der einzige, der den Revolver hätte verschwinden lassen können. Mein Bester, führen Sie den Revisionsprozeß durch, und in einigen Jahren sind Sie meinesgleichen.«
    Das Telefon läutete. Er nahm es ab, legte wieder auf.
    »Meine Frau ist tot«, sagte er.
    »Mein Beileid«, stammelte ich.
    »Nicht der Rede wert«, sagte er.
    Er wollte sich wieder Wein einschenken, aber die Flasche war leer.
    Ich stand auf und schenkte ihm ein, stellte meine Flasche neben die seine.
    »Ich muß noch fahren«, sagte ich.
    »Verstehe«, antwortete er, »der Porsche hat auch gekostet.«
    Ich setzte mich nicht mehr. »Ich übernehme den Revisionsprozeß nicht, Herr Stüssi-Leupin, und auch mit dem Auftrag will ich nichts mehr zu tun haben. Ich vernichte die Ermittlungen«, erklärte ich.
    Er hielt

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