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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Einladung der Steiermann anzunehmen, vielmehr im geheimen gehofft, dort Benno zu treffen, so verliebt sei sie gewesen. Sie habe es ihrem Vater nach dem Abendessen beim schwarzen Kaffee mitgeteilt. Ob sie in die Aurorastraße eingeladen worden sei, habe ihr Vater gesagt und zum Marc gegriffen, er trinke zu Hause immer Marc. Ins ›Mon Repos‹, habe sie gesagt, dorthin sei noch niemand eingeladen worden. Nein, habe ihr der Vater geantwortet, dorthin seien bis jetzt nur Lüdewitz und er eingeladen worden. Ob er ihr einen Rat geben dürfe? Sie befolge keinen Rat, habe sie störrisch entgegnet. Sie solle die Einladung nicht annehmen, habe ihr Vater gesagt und seinen Marc ausgetrunken, das sei sein Rat. Aber sie sei trotzdem gegangen.
    Sie sei mit dem Fahrrad zum Wagnerstutz geradelt und habe am Eingangsportal geklingelt, nachdem sie das Rad an das Gitter gelehnt habe, erzählte sie weiter. Sie sei erstaunt gewesen, daß nichts geschah. Dann habe sie bemerkt, daß die große Gittertür unverschlossen gewesen sei, sie habe das Portal geöffnet und den Park betreten, aber kaum hätte sie den Park betreten gehabt, sei sie 159
    von einer unerklärlichen Furcht ergriffen worden, sie wollte wieder zurück, aber das Portal habe sich nicht mehr öffnen lassen. Hatte sie in ihrer Erzählung bisweilen gezögert, so sprach sie von nun an, als hätte sich alles, was sich zutrug, nicht mit ihr, sondern mit jemand anderem zugetragen. Nach ihrem Bericht war sie sich von diesem Augenblick an bewußt gewesen, daß sie in eine Falle gelockt worden war. Der verwilderte Park lag im Widerschein eines intensiven Abendrots, ein Glutstreifen, der ihr bösartig vorkam. Mechanisch schritt sie den Weg zur unsichtbaren Villa hinauf. Der Kies knirschte unter ihren Schritten. Dann bemerkte sie einen Gartenzwerg neben dem Weg, dann drei, darauf mehrere durch die Halme des ungeschnittenen Rasens lugend, mitten in Lupinen und Rittersporn, von Cosmeen überwuchert, trotz ihrer pausbäckigen Gesichter im Abendlicht tückisch, besonders als sie bemerkte, daß noch von den Bäumen Zwerge Pfeife schmauchend heruntergrinsten, angeekelt eilte sie an den Gartenzwergen vorbei, bis sie sich Gartenzwergen mit großen, fast kahlen, bartlosen Köpfen gegenüber befand, Figuren aus bemaltem Ton, die größer waren als die anderen Gartenzwerge, etwa von der Größe vierjähriger Kinder. Sie wagte nicht, an ihnen vorbeizugehen, bis sie bemerkte, daß einer dieser Gartenzwerge ihr zuzwinkerte, sie starrte die Figur entsetzt an. Die Figur begann zu grinsen. Sie eilte den Park hinauf, durch Scharen obszöner Gartenzwerge, bis sie auf eine Wiese gelangte, die ohne Gartenzwerge war, ein sanfter Abhang, an welchem oben die Villa sichtbar war. Atemlos blieb sie stehen. Sie blickte zurück. In der Hoffnung, sie hätte sich getäuscht. Alles sei nur ein Angsttraum gewesen. Da sah sie wieder den grinsenden Gartenzwerg mit kleinen schwankenden Schritten auf sich zukommen, sie rannte gegen die Villa hinauf, sie rannte durch die offene Haustür, sie hörte hinter sich ein trippelndes Rennen, sie rannte durch eine Vorhalle, dann durch eine Halle mit einem prasselnden Kamin, trotzdem es Sommer war, alles leer, nur das trippelnde Rennen hinter ihr. Sie gelangte in ein Kabinett, schlug die Türe zu, verriegelte sie, sah sich um. Sie war allein. Die Wände mit Fotos von Benno bedeckt. Sie warf sich in einen Ledersessel. Ein seltsamer süßer Geruch. Sie verlor die Besinnung. Sie sei dann wieder zu sich gekommen, fuhr sie ihre 160
    Erzählung fort. Vier nackte Kolosse hätten sie umklammert. Sie seien glatzköpfig gewesen und hätten nach Olivenöl gestunken. Sie seien glitschig wie Fische gewesen. Sie wisse nicht mehr alles. Sie hatte sich gewehrt. Jemand hatte gelacht. Dann seien ihr die Schenkel auseinandergerissen worden. Professor Winter sei aufgetaucht, nackt und dickbäuchig. Über dem geilen Faun habe sie den Gartenzwerg gesehen, der ihr nachgetrippelt war. Er habe auf dem Schrank gehockt, und erst jetzt habe sie begriffen, daß es kein Gartenzwerg, sondern ein weibliches Wesen war, das vom Schrank herunterlauerte, und daß alles, was geschah, nur um dieses Wesens willen mit dem fast kahlen Kopf einer Erwachsenen und dem Leib einer Vierjährigen geschah, das sie in die Villa hetzte, damit an ihr, Hélène, vollbracht würde, was an ihm nicht vollbracht werden könnte, und welches dieses wünschte, daß es an ihm selber vollbracht würde, und wie nun Winter sie genommen und sich

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