K
kleineren Empfänger, der wiederum einen entsprechenden Mechanismus aktiviert: Mit derselben Methode hat man in Varietétheatern Klaviere ohne Pianisten spielen oder Modellflugzeuge über das Publikum fliegen und ohne äußere Hilfe auf der Bühne landen lassen. Der Autor des Artikels hatte vermutet, dass man damit auch Kanonen fernzünden oder Sirenen aufheulen lassen könnte, ja, dass sich auf diese Weise sogar ein ganzes Kriegsschiff lenken und die Mannschaft einsparen ließe. Der Tisch wackelt immer noch und buchstabiert die Letternfolge: VERSTRAHLTESSONNEN-LICHTWIEDERZUSAMMENGESETZT.
»Ist das Sonnenlicht hell? Oder dunkel?«, fragt der Atom-Mann.
LIEBESSTRAHLENKENNENKEINEFARBE, antwortet der Tisch. UND WENN…
Serges Puls rast, doch diesmal vor Wut. Er überlegt, ob er aufspringen und den Schwindel auffliegen lassen soll. Wie viele Leute im Saal sind daran beteiligt? Die Sekretärin? Der Mann an der Tafel? Atom-Mann? Er sieht zu Ralphs Eltern
hinüber, dann zu denen von Paul. Wie gebannt verfolgen sie jede Tischbewegung, lesen jedes noch so langsam an die Tafel transkribierte Wort, genau wie Audrey und auch alle anderen Besucher, ihn ausgenommen. Die Isolation lässt sein Herz noch schneller schlagen, so schnell, dass er schon fürchtet, er könnte an einem Infarkt sterben. Während in den nächsten zehn Minuten immer wieder das Alphabet aufgesagt, unterbrochen und von vorn begonnen wird, versucht er, sich zu beruhigen. Er redet sich gut zu, sagt sich, dass »hinübergehen« vermutlich der richtige spiritistische Ausdruck fürs Sterben ist, was ein nervöses Lachen von der Brust in die Kehle steigen lässt, wo er es dann wieder unterdrücken muss. Als er Leib und Verstand endlich wieder halbwegs besänftigt hat, hört der Tisch auf, sich zu bewegen, und der Leiter beendet die Sitzung, dankt allen, die zum Gelingen dieser Séance »beigetragen« haben, hilft Miss Dobai aus ihrem Stuhl und stützt sie, als sie über die Bühne taumelt und durch ebenjene Seitentür verschwindet, durch die sie auch auf die Bühne kam.
Audrey ist bester Laune.
»Hast du auch gespürt, wie du an Gewicht verloren hast?«, fragt sie, als sie an seiner Seite durch die Hoxton Street tänzelt.
»Das habe ich tatsächlich«, gesteht Serge.
»Ich habe genau gespürt, wie meins direkt zu Michael ging«, sagt sie. »Und ich habe gewusst, dass er ganz in der Nähe war, als Tilly mit Ralph geredet hat.«
»Kann ich nächste Woche wieder mitkommen?«, fragt Serge.
»Natürlich kannst du das!«, antwortet sie, küsst ihn auf beide Wangen, vergräbt ihr Gesicht an seinem Hals und schnüffelt verliebt.
Er bringt die ganze Woche damit zu, sich eine Fernbedienung zu basteln. Das ist nicht weiter schwierig: Er montiert einen kleinen Funkeninduktor auf eine Sockelleiste, setzt
einen Akkumulator dazu, zwei Antennen, einen Schalter und eine Morsetaste. Er schätzt die Sendestärke der Schlapphut-Steuerung ein und erhöht entsprechend die Voltzahl seiner eigenen Fernbedienung. Was zur Folge hat, dass der Apparat zu groß ist, um noch in die Jackentasche zu passen: Nach einigen Versuchen gelingt es ihm, das Gerät so ins Futter zu stecken, dass er die Taste mit den Fingern der rechten Hand bedienen kann, ohne hinsehen zu müssen. Am nächsten Donnerstag nimmt er mit Audrey wieder den Bus über die Clerkenwell Road. Er achtet darauf, zwei Schritte Abstand einzuhalten und ihr die Seite zuzudrehen; seine Haltung ist ein wenig steif.
Ein Großteil des Publikums von letzter Woche ist wieder da; die übrigen Gäste sind neu. Pauls Eltern sind gekommen, die von Ralph nicht.
»Nach dem, was letzte Woche passiert ist, sollte man doch meinen, dass sie wieder hier wären«, sagt Serge.
»Ich dachte auch, dass ich gleich wiederkommen wollte, nachdem Michael mit mir Kontakt aufgenommen hatte«, erwidert Audrey. »Aber man muss ja nicht ständig mit ihnen kommunizieren, jedenfalls nicht häufiger als zu Lebzeiten. Manchmal reicht es, nur zu wissen, dass es jemandem gut geht – das, und dann und wann ein Hallo …«
Der Atom-Mann ist auch wieder da, ebenso die über ihren Notizblock gebeugte Sekretärin. Und natürlich Schlapphut. Wie letzte Woche nickt er Audrey zu, schließt diesmal aber auch ihren Begleiter in seine Geste ein, die Serge mit einem breiten Lächeln erwidert. Er versucht, die Wölbung in dessen Jacke nicht allzu auffällig anzustarren, spürt aber, dass sein Blick unwillkürlich immer wieder dorthin wandert. Hoffentlich hat er die
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