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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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auch egal, ob in dem oder einem anderen –, dass man hier bis vor Kurzem mit einem Kompass und einer Karte ankommen konnte, und die Gastgeber haben dafür gesorgt, dass man ein Grab findet – ›findet!‹«, ihre jetzt quiekende Stimme überschlägt sich fast, »ein Grab, das sie in der Nacht zuvor, in der man auf orientalischen Kissen sanft geschlafen hat, mitsamt Mumie und allem Drum und Dran für einen hergerichtet haben. Das ist doch alles so … falsch !«
    Sie zieht wieder an ihrer Zigarette, stößt dann hastig den Rauch aus und fährt fort: »Bevor wir losgefahren sind, haben wir uns sämtliche Reiseführer besorgt. In dem von Cook stand, wir sollten Herodot lesen, damit wir nicht als Touristen, sondern als ›Individualreisende‹ kämen, als ›Forscher‹. Also haben wir uns den auch besorgt. Jetzt stellt sich heraus, in unserer Reisegesellschaft haben sie alle den Herodot im Gepäck – weil es im Cook stand. Was ist denn daran bitte noch individuell?«
    »Vielleicht…«, wagt Serge sich vor, aber sie ist jetzt so richtig in Schwung: »Und wir haben noch ein Buch, in dem steht, wie man richtig ›forscht‹: Also haben wir einen Sextanten und ein Chronometer mitgebracht, einen Siphon, ein Barometer und ein Maßband – ach ja, und Papierbögen, um die Inschriften in den Tempeln abrubbeln zu können, als wären sie nicht alle schon Abermillionen Mal übertragen worden. Und dann – weil wir uns die neuste Ausgabe besorgt haben, des Buches, meine ich – steht da noch, es sei nun auch gestattet, die Inschriften zu photographieren, statt sie abzurubbeln. Gestattet? Von wem denn? Für wen photographieren wir eigentlich?«

    Während sie wieder ganz atemlos und mit kieksiger Stimme weiterplappert, betrachtet Serge ihren rot angelaufenen Hals. Einen Moment lang hält sie inne und nippt an ihrem Drink. Während sein Blick die Rötung bis in ihre Bluse hinein verfolgt, erinnert er sich an die mit DX-Fischen verbrachten Nächte in Versoie, an sein Gefühl beim Transkribieren der Zeichen, beim Niederschreiben der Nachrichten, beim Verzeichnen von Sender und Signalstärke, dieses Gefühl, eine Aufgabe zu erfüllen, die so wichtig war, dass ein einziger falscher Eintrag katastrophale Folgen haben könnte für ganze Hierarchien von – von was eigentlich? Von Komitees? Subkomitees? Von wichtigen Organen , die auf ihn bauten, die aufgrund seiner Meldungen handelten und arbeiteten, die sie brauchten . Und darüber hinaus: dass die Stationen am äußersten Ende der Skala mit ihren kaum noch vernehmbaren Signalen – von Schiffen oder Wüstenposten, von noch ferneren Schiffen, noch ferneren Außenposten, deren Signale gerade noch aufgenommen und durch weites, statisches Rauschen weitergeleitet werden konnten –, dass diese Signale also von derart exotischen, verzauberten Orten kamen, dass sie zu einer völlig anderen Dimension zu gehören schienen, einem Dort so fern vom Hier wie Engel von den Sterblichen, denen sie bestenfalls als flackernde, elektrische Visionen erscheinen. Nun aber gibt es kein Dort mehr: Er ist da, wo Dort war, und es ist kein Dort mehr, nur noch Hier.
    »Wissen Sie«, fragt Abigail, »was passiert ist, als wir mit dem Dampfer an Giseh vorbeifuhren? Nun, ich erzähl’s Ihnen: Um Punkt halb fünf kam der Dragoman unter Deck und rief: ›Meine Damen und Herren …‹« Sie imitiert den ägyptischen Akzent und wiederholt: »›Meine Da-men und Her-ren. Kommen Sie nun bitte hin-auf aufs Haupt-deck, um das Wunder der Pyra-miden zu bestau-nen.‹ Also gehen wir an Deck, und die Pyramiden sind da, genau wie auf den Photos, die ich
schon in all diesen blöden Büchern gesehen hatte, nur nicht so schön und ästhetisch; und die Leute haben ihre Apparate geholt und sie photographiert, keine Ahnung, warum, denn ihre Photos sind bestimmt nicht so hübsch wie die in den Büchern und Broschüren. Allerdings haben sie nicht lang photographiert, weil unter Deck das Buffet angerichtet wurde, und sie wollten alle zulangen, bevor es keine belegten Brote und keine Limonade mehr gab, nur fiel ihnen dann ein, dass sie gegenüber den Pyramiden ja eine gewisse Ehrfurcht an den Tag legen mussten, ihr Abendessen aber wollten sie auch nicht verpassen, also taten sie alles zugleich, waren ehrfürchtig und aßen, photographierten und tranken, alles zugleich. Und unser Dragoman sagte: ›Bitte vergessen Sie die Eintrittskarte für den Tempel nicht, die ist nämlich auch für die Sphinxtour gültig.‹«
    »Und was haben Sie

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