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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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getan?«, fragt Serge.
    »Was hätte ich denn tun können ?« Wieder kippt ihre Stimme und wird kieksig, läuft ihr Hals rot an. »Ich habe mir die Pyramiden angesehen, mich bemüht, Ehrfurcht zu empfinden, und ein wenig photographiert. Dann habe ich mir die anderen angesehen, wie sie sich die Pyramiden ansehen, und die auch photographiert. Ich wollte etwas essen, aber mir wurde schlecht. Es war ein obszönes Spektakel – wie ein pornographischer Film: schmutzige Unterhaltung, eigens für uns veranstaltet, damit wir glotzen können.«
    »Dasselbe Gefühl hatte ich im Krieg«, sagt Serge.
    »Sie waren im Krieg?«, fragt Abigail und sieht ihn zum ersten Mal direkt an. »Und was haben Sie getan?«
    »Beobachtet«, antwortet er. »Aus einem Flugzeug geglotzt.«
    »Klingt ziemlich aufregend«, sagt sie. »Erzählen Sie mehr davon.«
    Er geht mit ihr in seine Wohnung. Beim Sex klingt ihr Keuchen ebenso kieksig wie ihre Stimme im Gespräch, fast,
als wäre körperliche Erregung für sie eine gesteigerte Form der Empörung. Hinter ihr kniend, sieht Serge, wie die roten Flecken sich vom Nacken über den Rücken und entlang der Rippenbögen ausbreiten. Anschließend liegen sie eine Weile wortlos da, dann fragt sie: »Und? Hast du jemanden getötet?«
    Am nächsten Tag reist sie ab, fährt auf einem weiteren Dampfer nach Luxor und Assuan. Er muss zwei Tage später an sie denken, als er aus seiner Wohnung kommt, um die Ecke in die Rue de Paris biegt und zwei Schüsse hört. Er schaut in die entsprechende Richtung und sieht zwei schwarze Gestalten von einem weißen Flecken fortrennen, der sich immer weiter auf dem Bürgersteig ausbreitet. Es ist Milch: Das Opfer, ein englischer Professor an der Juristischen Fakultät, war vor die Tür getreten, um die Flaschen zu holen, als er erschossen wurde – die Männer hatten auf der Lauer gelegen. Der Professor ist tot, ehe Serge ihn erreicht. Blut tröpfelt ihm aus Kopf und Unterleib, fließt in die Milch, marmoriert sie mit Mündungsarmen wie Natron einen Sodasee.
    III
    Das Zentralgebäude ist ein eigener Komplex und viel moderner als die Bauten der übrigen Ministerien. Antennen sprießen auf dem Dach; Soldaten sichern den umliegenden Hof: Wie von Ferguson angedeutet, wird alles getan zum »Schutz der Imperialen Kommunikation«. In den Zimmern wimmelt es von Menschen und Maschinen, auf den Fluren herrscht organisierte Betriebsamkeit. Macauley geht mit Serge an Reihe um Reihe von Tischen vorbei, an denen Männer mit Kopfhörern sitzen und Buchstabenfolgen niederschreiben, während andere Männer durch die Reihen eilen, die Mitschriften
einsammeln und sie wieder anderen Männern hinlegen, die sie ihrerseits auf Kreidetafeln übertragen. In einer Ecke arbeiten sich zwei Männer durch einen Stapel Zeitungen – Gazette, Wady et Nil, al-Ahram, al-Balagh, al-Jumhur, al-Akbar – und unterstreichen bestimmte Worte, um dann die Seiten mit den Markierungen herauszureißen und sie den Einsammlern zu geben, die sie den Anschreibern bringen, auf dass diese sie zwischen die Buchstaben auf den Tafeln setzen.
    »Sie nutzen alle möglichen Kanäle«, sagt Macauley zu Serge, der die Bemerkung nicht recht versteht.
    »Wer?«, fragt er.
    Alle!«, lautet Macauleys Antwort. »Wir stehen hier am Schnittpunkt, dort, wo alle Übertragungen sämtlicher Interessensgruppen dieser Region zusammenlaufen. Wir belauschen die Wafdisten und die Türken; sie belauschen die Ulama und die Zionisten; die Franzosen belauschen uns und wir sie – aber mit ihnen teilen wir unsere Informationen über die Russen, die wir beide hassen, wenn auch nicht so stark wie die Deutschen, die wir ebenfalls abhören. Oder sind es die Spartakisten? Jedenfalls belauschen wir sie alle. Telegramme, Funknachrichten, Akrostichen und in Buchstaben verborgene Passwörter: Wir versuchen, so viele wie möglich aufzufangen. Eine undankbare Aufgabe, natürlich; wer weiß, welch winzigen Bruchteil wir tatsächlich erwischen?«
    »Und was tun diese vielen Leute hier?«, fragt Serge.
    »Diese vielen Leute und noch mehr sind meine décryptage -Abteilung. Allen voran die Ägyptologen. Haben die richtige Denkweise: Sind es gewohnt, Texte aus dem Neuen Reich oder dergleichen zu knacken. Rebus-Logik. Ehrlich gesagt, das ist mir alles zu hoch. Dieses Zeugs dagegen«, sagt er, während er Serge durch eine weitere Tür in den nächsten Raum führt, »kann ich besser verstehen: Wenigstens sieht es wie etwas halbwegs Wiedererkennbares aus.«

    Er zeigt zu einer

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