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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Ladenbesitzern und Kunden oder Zugschaffnern und Reisenden) sie umspülen. Ist eine Platte zu Ende, lassen sie die Nadel oft weiterlaufen, sodass sie wieder und wieder dasselbe Stück Stille spielt – Stille, die alles andere als still ist, birst sie doch geradezu vor lautem Rauschen und Knacken, was für Serge das Bild von Bodners deformiertem, auf- und zuklappendem Mund heraufbeschwört: viele Bodner-Münder, Seite an Seite, reihenweise wiederholt, bis sie die Luft der Mansarde und auch den Raum außerhalb von Dach und Wänden füllen. Während Sophie eifrig Pflanzen abmalt, hält Serge gelegentlich den Kopf direkt ans Grammophon und sieht zu, wie die Nadel durch die Furche läuft, wie sie immer wieder hängen bleibt und hüpft, als befände sie sich in einem ständigen Kampf mit der Rille. Die Platte ist aus einem dicken, schwarzen Material.
    »Schellack«, klärt Sophie ihn auf, als er sie an einem wolkenverhangenen Montag danach fragt. »Hergestellt aus den Absonderungen des Lackkäfers.«

    »Lachkäfer? Worüber lacht der denn?«
    »Lack, mit K. Einen davon habe ich auch in meinem Labor. Das ist übrigens Rainers Stimme.«
    Sie hat recht: Auf der Platte, die er an diesem Morgen herausgezogen hat, sind nicht Redewendungen zu hören, sondern mit ungebrochener Kinderstimme vorgetragene Verse, die erstaunlich gut auf ihr neu gefundenes Publikum zu passen scheinen:
    Sei nicht in Angst! Die Insel ist voll Lärm,
Voll Tön’ und süßer Lieder, die ergötzen,
Und niemand Schaden tun. Mir klimpern manchmal
Viel tausend helle Instrument’ im Ohr,
Und manchmal Stimmen, die mich, wenn ich auch
Nach langem Schlaf erst eben aufgewacht,
Zum Schlafen wieder bringen …
    Rainer, der Sprecher, hat etwa ein Jahr auf Versoie verbracht: ein Junge, Deutsch-Engländer, der erst das Gehör und dann sein Leben an einen Krebs verlor, der sich im Ohr entwickelte. Serge hat den Krebs einmal gesehen: knollig, wie eine Reihe Wurzeln, von denen die innere Kammer des Organs ausgebeult und der delikate Bau von Windungen und Kanälen unter der Haut gestört wurde, während außen am Ohr ein moosähnlicher Belag wucherte. Serge dreht den Kopf und schaut in die Schalltüte. Das Messing ist mit der Zeit ein wenig grün angelaufen. Wo der Trichter sich verengt, wird er dunkler, dann geht er in die Schalldose über. Serge hört Rainer zu und denkt an Höhleneingänge und Brunnenschächte, an Wurm- und Fuchslöcher, Kaninchenbauten und an all das, was sonst noch in die Erde hineinführt.
    II
    Es geht auf die Junimitte zu, als Simeon Karrefax’ alter Studienkollege Samuel Widsun mit dem Wagen aus London eintrifft. Seine Ankunft mitten während der Proben zum diesjährigen Historienspiel sorgt für einige Unruhe: Nur wenige Bewohner von Versoie, ob Kind oder Erwachsener, haben je ein Auto gesehen. Noch ehe es von der Straße auf den sanft abfallenden Weg einbiegt, der am Maulbeerrasen vorbei zum Haus führt, haben die Schüler die Vibrationen des Motors gespürt, kabbelige Wellen, die den Boden unter ihren Füßen erzittern lassen. Als das Gefährt hinter den Koniferen auftaucht, rennen sie ihm entgegen und laufen nebenher, stolpern fast über die Säume ihrer langen Roben. Das Thema dieses Jahr ist Persephone: Das Historienspiel handelt von ihrer Entführung durch Hades, der Vermählung mit ihm und ihrer anschließenden Krönung zur Königin der Unterwelt.
    »Lieber eine Griechin als eine Deutsche!«, flachst Widsun gut gelaunt, als Simeon ihm die Handlung schildert, während seltsam gekleidete Schüler die Koffer des Gastes ausladen. »Ist es zu fassen, dass wir einem von diesen verfluchten Kohlfressern auch noch die Krone aufsetzen?«
    »Korn, dieser Dreckskerl, hat mich mit seinem phototelegraphischen Patent um Haaresbreite geschlagen«, erwidert Karrefax.
    »Das Wort können die Kinder ebenso gut von den Lippen ablesen wie jedes andere, Sir«, warnt Maureen Karrefax, während sie Widsuns Mütze und Handschuhe entgegennimmt.
    »Wir müssen die ganze Zeit Kopf an Kopf gearbeitet haben. Noch eine Woche, und ich hätte den Antrag vorgelegt. Ich
muss dir eine Menge neuer Projekte zeigen. Ein verdammtes Füllhorn!«
    »Und das Wort auch«, setzt Maureen hinzu.
    »Was für eins? Füllhorn?«
    »Nein, das andere. Sie machen aus den Kindern noch richtige Strolche, taube Strolche.«
    »Die Krauts rüsten auf und fallen über uns her, da brauchen wir uns gar nichts vorzumachen«, sagt Widsun. »Heda, passt mit dem Gepäck auf!«, ruft er zwei

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