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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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sture Ochse.«
    Serge, der immer noch mit der Guillotine spielt, stellt sich erneut Bodners Mund vor: die gekräuselten Lippen, den verkümmerten Zungenstummel. Dann denkt er an Ochsenzunge, in Scheiben auf einem Teller arrangiert. Dabei muss er schlucken, und sein Speichel schmeckt bitter.
    Sophie stolziert ins Zimmer und geht direkt zu Widsun.
    »Ich habe sieben gefunden!«, trällert sie und hält ihm eine Hand mit gespreizten Fingern, die andere Hand mit zwei ausgestreckten Fingern unter die Nase.
    »Sieben was?«, fragt der Vater.
    »Er gibt jeden Tag in der Zeitung Nachrichten für mich auf, und ich muss den Kode knacken und mit derselben Verschlüsselung antworten«, verkündet sie in einem so schuldbewussten wie trotzigen Ton.
    Karrefax wirft seinem Gast einen mörderischen Blick zu.
    »Ich bilde sie zur Spionin aus«, gesteht Widsun. »Ist doch zumindest ein prima Denksport, das musst du zugeben …«
    »Ich werde Doppelagentin«, schnurrt Sophie und steckt sich das Haar auf, »eine Doppel-Doppelagentin. Wenn man mich schnappt, vergifte ich mich, bevor der Feind mich zwingt,
den Kode zu verraten. Ich mische mir sogar schon das passende Gift an. Und bevor du fährst«, richtet sie sich an Widsun, während sie ihren Arm wieder um seine breiten Schultern schmiegt, »gebe ich dir für dein Ministerium eine ganze Reihe verschiedener Gifte mit. In zwei Jahren, wenn all eure Spione tot sind, komme ich dann und werde die beste Spionin, die es je gegeben hat. Klasse: Äpfel!«
    »Äpfel? Wie?«, fragt ihr Vater.
    »Aus dem Garten; Bodner; keine Sorge; brauche die Griebsche, Papa, die Kerne, Griebsch-Griebsch!«
    Und schon ist sie wieder weg. Während der nächsten Tage flitzt sie zwischen ihrem Labor und Widsuns Zimmer hin und her, umklammert Papiere mit endlosen Reihen von Buchstaben, Zahlen und anderen, unbestimmbaren Chiffren, von eigener Hand hingekritzelt und wieder durchgestrichen, dazu die dünneren Seiten, herausgerissen aus Daily Sketch und Daily Herald , Globe, Manchester Guardian und Times , Star , Western Mail und Evening News . Serge, der nicht mehr mit ihr in Widsuns Zimmer darf, hört sie jedes Mal kreischen und juchzen, wenn sie einen Kode entdeckt oder ihn knackt, dazu Widsuns tiefes, zustimmendes Gebrumm. Manchmal läuft sie auf dem Flur an ihm vorbei, das Haar zerzaust, das Gesicht mit Tinte bekleckert und beschmiert.
    III
    Der Tag des Historienspiels beginnt unbeständig. Wolken ziehen am Himmel dahin; Karrefax beobachtet sie besorgt, den Kopf in den Nacken gelegt, sieht sie hinter den mit Efeu überwucherten Schornsteinen des Hauses hervorquellen, sich ausdehnen und vereinzeln, wenn sie als Schattenteppiche über den Maulbeerrasen wandern – Teppiche, die sich wellen, wenn sie in den Fluss tauchen, dann verkürzen, sobald sie Arcady
Field hinaufgleiten und schließlich zu dünnen Linien zusammenziehen, bis sie über die Kuppe des Telegraph Hill davonschlüpfen. Personal und Schüler erscheinen mal heller, mal dunkler, wenn sie durch die Schatten laufen, von den Spinnereihäusern zu den Klassenzimmern, von den Klassenzimmern zum Maulbeerrasen, vom Haus zu den Spinnereihäusern und wieder zurück. Die Dekoration wird angebracht; Frauen balancieren auf höchsten Trittleiterstufen, hängen Laubgirlanden an Holzpfosten. Auf dem Rasen davor reihen Kinder Stuhl neben Stuhl. Etwas weiter entfernt davon stellen Maureen und Frieda Tee- und Kaffeekannen auf Klapptischen bereit, während ihre Mädchen Teller mit Pyramiden von Gurken- und Eihack-Sandwichs in ungebrochener, ameisengleicher Kette über Kies und Rasen herantragen. Spitalfield schleicht ihnen um die Beine und hofft auf herabfallende Brocken. Am oberen Ende des leicht abschüssigen Wegs bindet Mr Clair ein Plakat ans offene Tor, auf dem in konventioneller wie phonetischer Schrift jener Text steht, den die meisten Geschäftsleute, Priester, Beamten, Bauern, Hausfrauen, Ladenbesitzer etc. von Lydium in den letzten zwei Wochen bereits als Flugblatt in ihren Briefkästen vorgefunden haben:
    Mr SIMEON KARREFAX
lädt Sie herzlich ein in die
VERSOIE-TAGESSCHULE FÜR TAUBE
zum
JÄHRLICHEN HISTORIENSPIEL
am
Samstag, den 25. Juni 1911,
um 3 Uhr nachmittags
zwecks
UNTERHALTUNG und KLASSISCHER BELEHRUNG
für alle Jahrgänge geeignet.
    »Verdammte Wettergötter!«, knurrt Karrefax zu Widsun hinüber. »Spielen mit uns. Was den Knaben müß’ge Fliegen, völlig durcheinander – nein, was müß’ge Knaben im Sport… Wie ging das noch mal?«
    »›Was

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