Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
K

K

Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
Vom Netzwerk:
ihm vor wie ein Termin am Wochenende, als schauten sie beide nur rasch in einem leeren Büro vorbei, ehe sie zu einem Ausflug aufbrechen. Eines Morgens fragt Serge, was sie später noch vorhabe; als sie »Nichts«
antwortet, schlägt er eine gemeinsame Fahrt auf der Jiři vor.
    »Vergnügungsboot ist vorbei«, antwortet sie. »Nicht mehr genug Touristen.«
    »Dann mieten wir uns ein Paddelboot«, antwortet Serge. »Wie wär’s?«
    Ohne im Rubbeln innezuhalten, antwortet sie: »Wie spät?«
    »Um sechs«, antwortet Serge. »Nein, lieber um fünf. Es wird jetzt schon so früh dunkel.«
    Wie sich herausstellt, ist das Bootshaus am Wehr verschlossen. Während er wartet, überlegt er, was sie beide nun machen sollen. Er wartet bis halb sechs, bis Viertel vor sechs, bis sechs. Um Viertel nach entdeckt er Lucia, die allein unterhalb des Schlosses spazieren geht. Sie hat ihn noch nicht gesehen; er hastet über die Brücke, bis er nicht länger in ihrem Blickfeld ist, aber immer noch sehen kann, ob Tania kommt. Noch gut eine weitere Stunde bleibt er sitzen und sieht den Blasenbüscheln zu, wie sie am Schleusentor des Wehrs aufsteigen und ans Ufer treiben. »Frei und leicht freizusetzen«, stand in der Broschüre. »Zu viele auf einmal bringen dich um«, warnte Dr. Filip.
    Hinter ihm stampfen und stöhnen die Turbinen des Kraftwerks, und etwas weiter entfernt, da, wo der Weg in die Felder übergeht, steht eine kleine Nebenstation: ein urnenförmiges Gebäude, aus dem Kabel ragen, die zu Masten führen, sich dann um Gummispindeln an horizontal daran angebrachten Armen winden und in dünnere Kabel teilen, fast, als würde Organsin verzwirnt, nur eben rückwärts, woraufhin dann jeder einzelne Strang in einem halb in der Erde vergrabenen Metallkasten verschwindet. Zwischen dem Nebengebäude und der Hauptstation wächst Wein – drei Reihen, mit Schnüren an Pflanzstangen befestigt, über die sie längst hinausgewachsen sind. Serge geht zum Gitterzaun an
der Nebenstation, vergräbt die Finger in den Maschen und sieht sich den Wein genauer an. Er ist reif, die dunkelroten Reben sind zum Platzen prall. Sein Blick wandert weiter zu den Feldern. Dahinter liegt ein Wald, im Dämmerlicht schon beinahe dunkel. Vielleicht kann er mit Tania dorthin gehen, falls sie noch kommt…
    Sie kommt nicht. Bei der Massage am nächsten Tag fragt er sie nach dem Grund.
    »Bootshaus geschlossen«, sagt sie. »Hat mir andere Krankenschwester erzählt.«
    »Na ja, wir hätten doch einen Spaziergang machen können«, erwidert Serge.
    »Wohin?«
    »In den Wald zum Beispiel. Der sieht schön aus. Das könnten wir doch heute Abend machen.«
    »Wieder um sechs?«, fragt sie. »Umdrehen.«
    »Um fünf«, sagt er, ihre Schulter über ihm. »Beim Kraftwerk auf der anderen Wehrseite.«
    »Kraft?«, fragt sie, während sie auf seinem Rücken herumsägt.
    »Ja, Sie wissen schon: Elektrizität.« Er stöhnt leise und kreiselt dabei in Hüfthöhe mit den Armen.
    »Ich verstehe«, sagt sie und drückt ihn wieder auf die Liege. »Ich komme.«
    Sie versetzt ihn erneut. Während er an der Nebenstation wartet, schaut er Soldaten bei einem Manöver auf den Feldern zu. Sie laufen einige Schritte vorwärts, lassen sich fallen, richten ihre Holzgewehre auf den Wald und springen dann wieder auf, rennen erneut ein paar Schritte, um sich gleich darauf wieder auf die Erde zu werfen, und nähern sich so in stockender Bewegung einem imaginären Feind zwischen den Bäumen. Serge denkt an das, was Monsieur Bulteau über die preußischen Arsenale gesagt hat, über ihre Gier nach
Land und Macht. Widsun hat das auch gedacht. »Mehre dein Reich«, sagte Venus zum kleinen pausbäckigen Giles. Die tiefe Männerstimme auf der Schallplatte hat behauptet, Jiřis Friedensvision breite sich heute bei allen Nationen aus. Er denkt daran, wie Lucia bei diesen Worten lächeln musste, sehnt sich nach Tanias erdigem Geruch, kehrt zum Wehr zurück, um nach ihr Ausschau zu halten, und sieht, wie sich eine Tür im Kraftwerk öffnet. Ein Mann kommt heraus und sagt etwas zu ihm.
    »Tut mir leid…« Serge zuckt mit den Achseln.
    »Deutscher?«
    »Nein, Engländer.«
    »Ach, Sie sind Engländer?« Das Gesicht des Mannes erhellt sich. Er ist um die fünfzig, gut gebaut, mit dichtem, grauem Haar und bronzenen, sehnigen Armen, die den Weinreben gleichen, zwischen die er gerade getreten ist. »Die Engländer gute Leute.«
    »Danke«, erwidert Serge. »Ist dies hier Ihr Wein?«
    »Wein? Kystenwein, ist

Weitere Kostenlose Bücher