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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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dass eine photographische Aufnahme Deiner verstorbenen Schwester die familiäre Natur unseres Unternehmens gleichsam ergänzte, nein, vervollständigte. Die Liebe fürs Technische, die uns dreien gemeinsam war, ist mir stets ein Quell der Freude – der größten Freude – gewesen, und ich sehe keinen Grund, warum der Tod Deiner Schwester diese interfamiliäre Kommunion stören, gar verunmöglichen sollte. Als Bells Bruder verschied, mit dem der große Mann so viele Stunden gemeinsam an der Erfindung des Telephons gearbeitet hatte, spornte ihn dies nur an, einen Apparat zu erschaffen, der so sensitiv war, dass er den Diskurs mit dem Verstorbenen aufnehmen konnte, sollte die Existenz eines Lebens nach dem Tode nicht bloß eine metaphysische Annahme, sondern physische Realität sein. Es konnte kein Kontakt hergestellt werden – aber spielte der Bruder nicht dennoch eine große Rolle bei dieser Erfindung? Sollte sein Beitrag vergessen werden? Ich glaube, so ist es auch mit Sophie. Wenn künftige Generationen Bilder sehen, zusammengesetzt von feurigen elektrischen Partikeln, die über Wände tanzen, von fernen Ländern dorthin übertragen, sollte dann nicht …
    Serge ließ den Brief sinken. Eines Tages, ziemlich zu Beginn seines Aufenthalts in Klodĕbrady, hatte er einen Fluoroskoptermin bei Dr. Filip, da der die Ausmaße der drückenden Last in seinem Gedärm feststellen wollte. In einem fensterlosen, tief im Innern des Maxbrenner-Gebäudes verborgenen Raum stellte er sich zwischen eine bleiummantelte Röntgenkiste und einen leeren Holzrahmen, den Dr. Filip im Trägergerüst auf und ab bewegte, bis er die richtige Position
für Serges Unterleib gefunden hatte. Dann schob der Arzt einen Schirm in die Rahmenfuge, trat einen Schritt zurück, schaltete das Licht im Zimmer aus und den Apparat an. Es folgte ein Summen, dann ein Blitz, ein Geruch nach Kalziumwolframat; und es sammelte sich ein leuchtender Fleck in der Luft direkt über der anderen Schirmseite, als tröffe Licht aus Serges Bauch.
    »Bitte nicht bewegen«, instruierte ihn die Stimme des Arztes, als er den Kopf reckte, da er nach der Lichtquelle suchte. »Ich kann mit Spiegel zeigen.«
    Unterhalb von dort, wo die Stimme herkam, vernahm er ein Scharren, dann ein Geräusch, als würde etwas vom Boden aufgehoben – und da sah er es, sah es zu ihm zurückgespiegelt: Auf kränklich weißem Fluoroskop-Schirm schwebte das Innere seines Bauchs, durch Felder und schwarze Linien unterteilt, in einer Leere, die es von allem loslöste. Organe, Schläuche, Knochen bebten und oszillierten unbeholfen durcheinander wie Tiere – Reptilien, Mollusken, unterirdische Kreaturen –, die, auf zu kleinem Raum zusammengepfercht, vor Wut aufeinander schier zu platzen drohten und doch dank irgendeines vermikularen, primordialen Instinktes wussten, dass das Überleben eines jeden von dem seiner unerwünschten Nachbarn abhängt. Stumm beobachteten beide, Serge und Dr. Filip, diesen Anblick eine Weile. Serges Bauch – nicht das Vakuum, in dem er gehalten wurde – war der lebende, sich bewegende Teil in diesem neuen Film, der im Moment seines Entstehens projiziert und betrachtet wurde. Doch im Negativ gezeigt und dank der Strahlen seltsam gespenstisch, fand Serge ihn toter als alles Fleisch in seinem Innern. Wie er aber nun auf dem Bett liegt und versucht, sich die mutmaßliche Erfindung seines Vaters vorzustellen, sieht er hautlose Leiber durch leeren Raum driften: Aberhunderte, die gestikulieren, sich recken, beugen und strecken wie tanzende Skelette, die
man von folkloristischem Fasching oder Bänkelsängerbildern kennt. Karrefax Kathode. Was immer es an vibrierender Unmittelbarkeit verbreiten mochte – Serge konnte darin nur Tod sehen – von Poldhu, Malin, Cleethorpes gesendeter Tod, über die Meere geschickt, im Stundentakt von Paris aus transferiert, von Mast zu Mast, von Station zu Station weitergeleitet, von Abessinien nach Suez nach Crookhaven und zu den Häusern in Europa und auf der ganzen Welt. Kann man den Tod patentieren lassen? Er langt nach der Mineralwasserflasche an seinem Bett, hält sie sich vors Gesicht und dreht sie, bis die siebenstellige Ziffer auf dem Etikett wie per Lochstreifen an seinen Augen vorüberzieht …
    »Warum sind Sie denn diesmal nicht gekommen?«, fragt er, als Tania am nächsten Morgen ihre Handballen in seinen Unterleib presst.
    »Hab zu tun«, antwortet sie.
    »Ich habe einen Mann getroffen, der mir Wein geschenkt hat«, erzählt

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