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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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greift nach seiner Schulter, als es über sie hinwegfliegt.
    »Sieh doch!«, ruft sie ganz aufgeregt. »Sieh doch mal!«
    »Man kann es für einen Rundflug über Stadt und Land buchen«, sagt Serge. »Wenn das Wetter gut ist, fliegen sie zwei-, dreimal in der Woche.«
    »Bist du schon mitgeflogen?«
    »Nein.« Clair hatte es eines Tages vorgeschlagen, Serge aber abgelehnt, einfach, weil er nicht glaubte, dass sich dieses viele Gewicht in die Luft erheben konnte. Natürlich wusste er, dass es das konnte, so wie er wusste, dass die physikalischen Gesetze es der Maschine ermöglichten, ihn mit ihren Propellern und Flügeln zum Himmel hinaufzutragen, aber psychologisch … In seiner Phantasie war die morbide Masse, von der Dr. Filip sprach, viel, viel größer als alles geworden, was je in seinen Bauch passen könnte, und hatte sich zu einer Landschaft ausgeweitet, einem Territorium, zum Land selbst, darüber die trübe, verschleierte Luft, darunter fließendes dunkles Wasser… Wie sollte all das aufsteigen können? Seit
seiner Ankunft war sein Unterleib weiter angeschwollen. Dr. Filip meinte, das sei gut – es sei das reine, sauerstoffreiche Wasser, das ihn anschwellen ließ, und diese Reinheit würde wachsen wie der Glaube. Doch da wächst noch etwas anderes in Serge. Er spürt die Schwere. Er sieht die Schwere überall: in den Waagschalen, die über den Drogerietüren hängen, den Schlangen, die sie umwinden, sie niedersinken lassen, im cysteinreichen Ballast, der mit Baggern in ächzende Waggons geladen wird, oder in den Herzen, die Putten und Wasserstrahlen nur mühsam gegen Schleppkraut und Tentakel hochhalten. Er hat damit angefangen, in müßigen Augenblicken die Herzen in seinem Zimmer schwarz auszumalen, die Herzen auf dem Notizblock an seinem Bett, auf den Etiketten der Mineralwasserflaschen …
    Er sieht Lucia oft. Fast jeden Nachmittag gehen sie zusammen spazieren. Clair und auch Lucias Begleiterin, die etwa fünfzig Jahre alte Miss Larkham, scheinen der Ansicht zu sein, dass das beiden guttut. Lucia jedenfalls mag seine Gesellschaft: Wenn sie lacht, fängt sie mit ihren hellen, aquamarinblauen Augen seinen Blick auf und hält ihn von Mal zu Mal länger fest. Nach wenigen Tagen boxt sie ihm leicht auf den Arm, sooft sie eine fröhliche Bemerkung macht, oder fasst nach seiner Schulter wie damals, als das Flugzeug über sie hinwegflog, lässt ihre Hand dann liegen, so als müsste er sie stützen, weil sie doch jeden Moment das Gleichgewicht verlieren könnte, obwohl der Grund unter ihren Füßen flach und eben ist. Er spürt, dass sie es zuließe, wenn er die Geste erwiderte, dass er sie so eng und fest an sich ziehen könnte, wie er nur möchte, sie küssen und mit ihr machen dürfte, wonach ihm ist…
    Nur weiß er nicht recht, ob er es will. Denn trotz Lucias Leichtigkeit, ihrer hellen Frohnatur, zieht er die Gesellschaft der krummrückigen Masseurin vor. Sie heißt Tania, wie er beim dritten oder vierten Besuch erfahren hat. Und er mag es,
wie ihre Hände über seinen Bauch kreisen, die Nachdrücklichkeit, mit der sie die Handballen in sein Fleisch, seine Muskeln presst, dann das spiralförmige Hinabwandern, die Art, wie sie klatschend, sägend seine Seiten bearbeitet… Er mag ihre gerötete Haut, den erdigen, schwefeligen Geruch, den er tief einatmet, wenn sie sich über ihn beugt, als sauge er durch sie direkt die Schwefeldämpfe der Quellen ein. Spaziergänge mit Lucia sind angenehm und helfen, die Zeit zu vertreiben, die Begegnungen mit Tania aber erfüllen ihn mit einer solchen Vorfreude, dass er sich jeden Nachmittag bereits nach der Massage am nächsten Vormittag zu sehnen beginnt und er Lucias Worte nicht länger empfängt, wenn seine Gedanken sich auf den erdigen Geruch ausrichten, auf das Pressen, das Hinabwandern …
    Mit Tania redet er wenig. Einmal fragt er sie, wie sie zur Masseurin wurde, und Tania erzählt ihm, dass sie an Kinderlähmung litt und nach Klodĕbrady kam, weil ihre Familie wollte, dass ihr die Heilkräfte der hiesigen Erde zugutekämen. Da die Familie nicht das Geld hatte, sie als Patientin hierzulassen, wurde sie die Gehilfin eines Zimmermädchens, um dann, mit dreizehn Jahren, ihre Ausbildung im Haus Letna anzufangen. Und obwohl sie Hydrotherapien verabreicht, ist sie felsenfest davon überzeugt, dass das Besondere an diesem Ort die Erde und nicht das Wasser ist.
    »Dann sind Sie wie Jirud«, sagt Serge, während sie auf ihn eintrommelt.
    »Wer ist das?«
    »Er kam mit

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