Kabal: Gesamtausgabe der Order of Burning Blood Trilogie Band I bis III (German Edition)
Brise ihre Haut kühlte. Empfindungen, die Charna immer seltener zugelassen hatte, durchfluteten sie. Sie schloss die Lider und atmete tief und ruhig, jeden Atemzug schmeckend. Sie lauschte den Wogen und verlor sich im Mantra ihres rhythmischen Rauschens. Nach einer Weile öffnete sie die Augen wie zum ersten Mal. Ein fernes Licht am Himmel, das keine Sonne war, aber ebenso hell schien, glitzerte strahlend weiß auf den dunkelgrünen Wellen. Sie hob eine große Muschel auf und bewunderte die gedrehte Form des Gehäuses, das Schimmern des Perlmutts im Inneren, das Muster der Pastellfarben, die in Hundert Abstufungen von Apricot und Elfenbein filigrane Mäander bildeten. Die rauen Vorsprünge auf der Außenseite und das glatte Innenleben waren ein Widerspruch, dessen bloße Existenz ihr plötzlich rätselhaft und wunderbar zugleich erschien. Sich wie ein Kind fühlend, das die Welt entdeckte, lächelte sie bei dem Gefühl unter ihren Fingerspitzen.
»Deine Anreise war länger als üblich.«
Die tiefe Stimme ertönte leise hinter der Hohepriesterin. Sie erschrak, doch sie ließ es sich nicht anmerken.
»Was ist das für eine Welt, in der du lebst, Seral? Ich begreife sie nicht, aber sie lässt mich Dinge begreifen. Ich weiß nicht, was hier Wirklichkeit ist und was nicht.«
Sie kehrte zum Strand zurück, die Muschel in ihren Händen und trat dem Neuankömmling gegenüber. Groß und schlank, mehr drahtig als muskulös, stand Seral vor ihr. Seine perlweiße Haut war von feinen Mustern durchsetzt und kontrastierte mit seinen schwarzen, federbesetzten Schwingen. Die grünen Augen, die Charna ruhig musterten, waren beinahe normal - wäre ihr Blick nicht so intensiv gewesen.
»Dies ist die Welt des Unbewussten. In ihr wird dein Innerstes nach außen gekehrt, wenn du es zulässt. Du hast viele Probleme zu bewältigen und du kennst die Lösungen noch nicht. Das Unbewusste in dir weist dir den Weg, den dein Verstand beschreiten muss.«
Charna spürte, dass etwas im Inneren der Muschel war und sie ließ es in ihre Hand fallen. Eine schwarze Perle, schimmernd, groß und perfekt lag in ihrer Handfläche.
»Was ist das?«
»Ein Symbol .«
»Ein Fremdkörper dringt in die Muschel, die Perle schließt ihn ein, kapselt das Unerwünschte ab ...«, überlegte sie gedankenverloren.
»Ist es Zweifel oder Gewissheit? Du lässt beides nicht zu. Deine Mutter ...«
»SCHWEIG!«
Ihre Stimme schallte mächtig über das Höhlenmeer. Die Wut ließ ihre Augen wütend aufflammen und die Muschel in ihrer Hand verglühte zu Asche, bevor sie es bemerkte.
Seral musterte sie ruhig. »Es ist dein Unbewusstes, das zu dir spricht.«
»Aber es ist deine Interpretation. Sie ist nicht tot.«
»Bin ich hier?«
Charna stolperte zurück, als Seral plötzlich verschwunden war. Sie schaute auf die verkohlte Muschel in ihrer Hand und ließ sich auf die Knie fallen. Der Schmerz des Verlustes, den sie seit so vielen Jahren leugnete, brannte aus den Tiefen ihrer Seele heraus und ebnete sich seinen feurigen Weg in ihre Kehle. Sie schrie ihn hinaus und brennende Tränen liefen, Magmaströmen gleich, über ihre Wangen. Eine Flut des Elends brach aus ihr hervor.
Die Tochter der Göttin des Feuers und des Drachenherrschers von Krain hatte keine Tränen aus Wasser zu verschwenden. Ihre Gefühle, unkontrolliert und gewaltig, veränderten das Gefüge der Welt und verbrannten sie.
Der Strand fing Feuer.
Der Sand verwandelte sich in Glas.
Die Wellen verdampften in dem Inferno, dass die Höhle verzehrte und Nebel stieg auf, der Charna allmählich einhüllte.
-
Eine Ewigkeit später hob sie den Kopf. Das Rauschen des Meeres war fort, die Flammen erloschen und sie befand sich an einem anderen Ort, erwachte wie aus einem Traum.
Sie saß in einem hellen Burghof. Kunstwerke, Skulpturen und Rosen belebten den kleinen, ruhigen Innenhof, der aus uraltem Mauerwerk bestand und ihr vertraut war. Zwei Schmetterlinge flogen an ihr vorbei, flatterten im sanften Sonnenlicht umher. Treppen und Türen, Fenster und Balkone säumten die Türme und Mauern von Serals Burg. Dies war endlich der Ort, den sie die ganze Zeit gesucht hatte. Sie fühlte sich erschöpft und unendlich leer.
Bin ich wahrhaftig hier?
Eine Tür flog auf. Seral kam heraus und lachte sie freundlich an. Dann sah er ihren körperlichen Zustand, den Staub, die Asche und ihren Blick.
»Dein Weg hierher war diesmal keine vergnügliche Reise, nehme ich an?«
»Bist du real?«, flüsterte sie schwach.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher