Kabale und Liebe
sammt der Scheide und wehrt sich mit dem Gefäß.) Wag' es, sie anzurühren, wer nicht auch die Hirnschale an die Gerichte vermiethet hat. (Zum Präsident.) Schonen Sie Ihrer selbst! Treiben Sie mich nicht weiter, mein Vater.
Präsident (drohend zu den Gerichtsdienern). Wenn euch euer Brod lieb ist, Memmen-Gerichtsdiener (greifen Luisen wieder an).
Ferdinand. Tod und alle Teufel! Ich sage: Zurück!—Noch einmal! Haben Sie Erbarmen mit sich selbst. Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Vater.
Präsident (aufgebracht zu den Gerichtsdienern). Ist das euer
Diensteifer, Schurken?
Gerichtsdiener (greifen hitziger an).
Ferdinand. Wenn es denn sein muß (indem er den Degen zieht und einige von denselben verwundet), so verzeih mir, Gerechtigkeit!
Präsident (voll Zorn). Ich will doch sehen, ob auch ich diesen Degen fühle. (Er faßt Luisen selbst, zerrt sie in die Höhe und übergibt sie einem Gerichtsknecht.)
Ferdinand (lacht erbittert). Vater, Vater! Sie machen hier ein beißendes Pasquill auf die Gottheit, die sich so übel auf ihre Leute verstund und aus vollkommenen Henkersknechten schlechte Minister machte.
Präsident (zu den Übrigen). Fort mit ihr!
Ferdinand. Vater, sie soll an den Pranger stehen, aber mit dem Major, des Präsidenten Sohn—Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Desto possierlicher wird das Spektakel—Fort!
Ferdinand. Vater, ich werfe meinen Officiersdegen auf das Mädchen.
—Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Das Porte-Epée ist an deiner Seite des Prangerstehens gewohnt worden—Fort! Fort! Ihr wißt meinen Willen.
Ferdinand (drückt einen Gerichtsdiener weg, faßt Luisen an einem Arm, mit dem andern zückt er den Degen auf sie). Vater! Eh Sie meine Gemahlin beschimpfen, durchstoß' ich sie—Bestehen Sie noch darauf?
Präsident. Thu' es, wenn deine Klinge noch spitzig ist.
Ferdinand (läßt Luisen fahren und blickt fürchterlich zum Himmel). Du, Allmächtiger, bist Zeuge! Kein menschliches Mittel ließ ich unversucht—ich muß zu einem teuflischen schreiten—Ihr führt sie zum Pranger fort, unterdessen (dem Präsidenten ins Ohr rufend) erzähl' ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird. (Ab.)
Präsident (wie vom Blitz gerührt). Was ist das?—Ferdinand—Laßt sie ledig! (Er eilt dem Major nach.)
Dritter Akt.
Saal beim Präsidenten.
Erste Scene.
Der Präsident und Sekretär Wurm kommen.
Präsident. Der Streich war verwünscht.
Wurm. Wie ich befürchtete, gnädiger Herr. Zwang erbittert die
Schwärmer immer, aber bekehrt sie nie.
Präsident. Ich hatte mein bestes Vertrauen in diesen Anschlag gesetzt. Ich urtheilte so: Wenn das Mädchen beschimpft wird, muß er, als Officier, zurücktreten.
Wurm. Ganz vortrefflich. Aber zum Beschimpfen hätt' es auch kommen sollen.
Präsident. Und doch—wenn ich es jetzt mit kaltem Blut überdenke—Ich hätte mich nicht sollen eintreiben lassen—Es war eine Drohung, woraus er wohl nimmermehr Ernst gemacht hätte.
Wurm. Das denken Sie ja nicht. Der gereizten Leidenschaft ist keine Thorheit zu bunt. Sie sagen mir, der Herr Major habe immer den Kopf zu Ihrer Regierung geschüttelt. Ich glaub's. Die Grundsätze, die er aus Akademien hieher brachte, wollten mir gleich nicht recht einleuchten. Was sollten auch die phantastischen Träumereien von Seelengröße und persönlichem Adel an einem Hof, wo die größte Weisheit diejenige ist, im rechten Tempo, auf eine geschickte Art, groß und klein zu sein! Er ist zu jung und zu feurig, um Geschmack am langsamen, krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts wird seine Ambition in Bewegung setzen, als was groß ist und abenteuerlich.
Präsident (verdrießlich). Aber was wird diese wohlweise Anmerkung an unserm Handel verbessern?
Wurm. Wie wird Ew. Excellenz auf die Wunde hinweisen, und auch vielleicht auf den Verband. Einen solchen Charakter—erlauben Sie—hätte man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals zum Feind machen sollen. Er verabscheut das Mittel, wodurch Sie gestiegen sind. Vielleicht war es bis jetzt nur der Sohn, der die Zunge des Verräthers band. Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen rechtmäßig abzuschütteln; machen Sie ihn durch wiederholte Stürme auf seine Leidenschaft glauben, daß Sie der zärtliche Vater nicht sind, so dringen die Pflichten des Patrioten bei ihm vor. Ja, schon allein die seltsame Phantasie, der Gerechtigkeit ein so merkwürdiges Opfer zu bringen, könnte Reiz genug für ihn haben, selbst seinen Vater zu stürzen.
Präsident.
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