Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
Ebenholzbraun, in dem sich kaum eine Lichtquelle spiegelte. Erkennen konnte er dies freilich nicht. Dazu war die Entfernung – etwa zwanzig Schritte – zu groß.
Bernhard erstarrte.
Das darf doch nicht wahr sein!
Tatsächlich. Er hatte einen Fehler begangen. Mehr als einmal.
In Windeseile formierte sich ein neues Bild vor seinem inneren Auge: Der Unbekannte, der vor ihnen den Taxifahrer befragt hatte. Die ungewöhnliche, aber Bernhard nicht fremde Vorgehensweise, den Täter zu imitieren. Die strahlend blauen Augen, die der alten Dame in Kitzbühel aufgefallen waren – aus einer viel zu großen Entfernung, um Gesichtszüge zu erkennen. Und schließlich der Name: Martin Albers.
Er kannte ihn tatsächlich. Er kannte ihn, weil er mit der Person, die diesen Decknamen manchmal trug, schon einige Male zusammengetroffen war.
Scheiße
, dachte Bernhard in ungewohnter Heftigkeit.
Wie kann man nur so dumm sein!
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 09:24 Uhr
Martin, der eigentlich Ilmar Rudesch hieß, stand vor den weit geöffneten Türen der Kabine und hielt sich mit beiden Händen an einer Haltestange fest. Benjamin war noch damit beschäftigt, den zweiten Rettungsgurt zu entwirren.
Ilmar hatte sich von allen verabschiedet, auch von dem Mörder. Er war sich absolut sicher, dass er es war. Der Mann hatte sich verraten, sogar zweimal. Ilmar war seiner Maske treu geblieben, keinen Funken hatte er durchblicken lassen. Hoffte er wenigstens.
Sobald er den sicheren Erdboden erreichte, würde er umgehend die Polizei informieren. Mit etwas Glück konnte der Verdächtige sofort nach der Landung verhaftet werden. Ilmar würde seine Aussage machen, die Beamten eine DNA-Probe nehmen, und in Kürze wäre der Täter überführt. Und Ilmar hunderttausend Euro reicher.
Er kratzte sich am Handrücken und warf einen Blick zu dem über ihnen schwebenden Helikopter empor. Innerhalb der letzten Minute hatte sich ein unangenehmes Brennen in seiner Hand ausgebreitet. Vermutlich lag es am Stress. Davon hatte er in den letzten Stunden wahrlich genug empfunden. Er freute sich wie ein kleines Kind auf eine heiße Dusche und darauf, endlich die blauen Kontaktlinsen loszuwerden. Mit der Zeit stachen sie höllisch.
Benjamin hatte die Entflechtung des Gurtes abgeschlossen und erklärte Ilmar in knappen Worten, wie man ihn anlegte.
Ilmar spürte einen Anfall von Schwindel, kämpfte das Gefühl zurück. Er durfte keine Zeichen von Schwäche zeigen. Nicht mit einem Mörder im Rücken.
Das Seil des Flugretters straffte sich, und er wäre um ein Haar aus der Kabinenöffnung nach draußen gezogen worden.
„Mehr Seil!“, brüllte er in sein Mikrofon.
Ilmar fühlte abermals Benommenheit in sich aufsteigen. Dazu kamen abrupte Übelkeit und Muskelschwäche. Hastig umklammerte er die Haltestangen mit seinen Ellbogen.
Benjamin wurde von einer Böe gegen den Türstock gedrückt. Er klammerte sich fest, tat einen Schritt auf Ilmar zu und öffnete den zweiten Sicherheitsgurt.
„Schlüpfen Sie rein!“, rief er und zog den Gurt auseinander, sodass Ilmar hineinsteigen konnte.
Ilmar vernahm ein unangenehmes Brausen in seinem Kopf, das die Symptome von Schwindel und Übelkeit verstärkte. Sein Gesichtsfeld verschwamm, er sah die geöffnete Tür nur noch undeutlich vor sich.
Was hat der Mann gesagt? Ich soll zu ihm kommen?
Ilmar ließ seinen Halt los, wankte auf die Tür zu.
Die Beine gaben unter ihm nach. Ein Aufschrei hinter ihm, dann fühlte er sich gepackt, festgehalten. Eilige Schritte – oder waren es Schüsse? Die Hand, die ihn hielt, rutschte ab. Ein Fluchen, das sich anhörte wie das Brausen eines wütenden Bienenschwarms.
Auf einmal spürte er, dass unter ihm nichts mehr war. Es ging abwärts, rasend schnell. Der Wind brauste in seinen Ohren, formte ein irres Gelächter, das seinen Verstand packte, aus seinem Bewusstsein riss und in die Finsternis schleuderte.
Ilmar verlor die Besinnung, noch ehe er mit vernichtender Gewalt am Erdboden aufschlug.
*
In der Kabine war es totenstill. Nur der Wind fegte durch die offenen Türen herein.
Benjamin starrte in die Tiefe. Ein dunkler, unförmiger Punkt kennzeichnete die Stelle, an der Martin aufgeschlagen war. Es gab keine Chance, dass er diesen Sturz überlebt hatte.
Du bist schuld!
, heulte es in Benjamins Schädel.
Du kannst nichts dafür!
, kreischte eine andere Stimme.
Du hättest es verhindern können
, drang es aus einer anderen Ecke seines Verstandes.
Nein,
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