Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
zusammen. Einige wankten, von den plötzlichen Sturmböen überrascht. Videokameras wurden auf den Hubschrauber gerichtet. Reporter brachten sich in Stellung, vergeblich bemüht, ihrer Frisur den Anschein der Unvergänglichkeit zu geben.
Benjamin schlug das Herz bis zum Hals. Er hatte Angst. Es stimmte zwar, dass er die Ausbildung zum Seilretter absolviert hatte, aber das war zehn Jahre her. Bis auf den jährlichen Auffrischungskurs konnte er kaum Erfahrung aufweisen. Der letzte richtige Einsatz lag Monate zurück und war im Vergleich zu der heutigen Aktion eine Lappalie gewesen. Dessen ungeachtet dachte er kein einziges Mal daran, einen Rückzieher zu machen. Er war der Einzige, der – hoffentlich – die automatische Türverriegelung der Seilbahngondel umgehen konnte. Jetzt hing alles von ihm ab.
Benjamin fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als er tief geduckt auf den Hubschrauber zueilte. Angesichts des engen Zeitfensters, das ihnen für die Bergung der Fahrgäste zur Verfügung stand, sowie der Massen an Pressevertretern und Schaulustigen hatten sie beschlossen, dass Benjamin sofort in den Helikopter steigen und auf den Berg fliegen sollte. Eines der zahlreichen Probleme war die Einsatzdauer. Für die Bergung und den Rücktransport eines Fahrgastes mussten zumindest fünfzehn Minuten veranschlagt werden. Der Treibstofftank der Augusta Bell reichte allerdings nur für zweieinhalb Stunden. Davon war eine halbe bereits verbraucht. Es war somit abzusehen, dass sie nach fünf bis sechs Personen abbrechen mussten, um die Kerosintanks aufzufüllen; eine weitere halbe Stunde, die verloren gehen würde.
Benjamin biss die Zähne zusammen und kletterte durch die Schiebetür ins Innere des Hubschraubers. Der Kopilot schüttelte ihm die Hand und übergab Benjamin einen Helm samt Kopfhörern und Mikrofon, den dieser über seine Sturmhaube zog. Benjamin spürte, wie die Maschine stärker vibrierte. Das
Flapp-flapp
der Rotorblätter beschleunigte sich. Der Helikopter löste sich vom Boden, veränderte den Anstellwinkel und brauste himmelwärts.
Benjamin atmete tief aus und ein.
Es war so weit. Nun gab es kein Zurück mehr.
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 09:17 Uhr
„Ich bin unterwegs“, erklang Benjamins Stimme, kaum wahrnehmbar durch das Heulen und Brausen im Hintergrund. „Der erste Fahrgast soll sich bereit machen!“
„Ihr habt Benjamin gehört“, sagte Sebastian. „Wird Zeit, dass wir die Reihenfolge festlegen.“
Sie zerrissen einen Zettel von Raphaels Notizblock in kleine Stücke. Rüdiger notierte mit krakeliger Handschrift die Zahlen eins bis neun. Die zusammengefalteten Papierstücke wurden in einen Helm geworfen. Jeder zog eine Nummer, nur Sonja nicht, da sie die Gondel als Erste verlassen sollte.
„Ich habe die Zwei“, sagte Raphael zufrieden.
„Eins“, frohlockte Martin und grinste über das ganze Gesicht.
Hingegen war Rüdigers Grinsen wie weggeblasen. „Neun“, meinte er wenig begeistert. „Will jemand tauschen?“
„Ich will tauschen“, sagte Sonja.
„Was?“ Rüdiger zog die Augenbrauen hoch. „Das wäre aber …“
„Nein, nicht mit dir.“ Sonja zog entschuldigend die Schultern hoch. „Mit dir, Martin.“
„Wieso das?“
„Ich möchte nicht so lange auf Raphael warten müssen. Und ob ich jetzt als erste oder zweite Person gerettet werde …“
„Schatz“, tadelte Raphael. „Ich halte das für keine gute Idee.“
Sie berührte neckisch seine Nasenspitze. „Aber die Fahrt mit der Dreiseilumlaufbahn war eine gute Idee?“
Raphael schwieg und verzog die Mundwinkel.
„Also ich hätte nichts dagegen“, sagte Martin. „Kann gerne die Vorhut übernehmen.“
„Welch’ Überraschung“, knurrte Matteo, der die Acht gezogen hatte.
„Wir können tauschen, Matteo“, warf Sebastian ein. „Ich habe …“
„Seid mal still“, meldete sich Emma zu Wort. „Ich höre etwas.“
Das Wüten des Schneesturms und das Quietschen der Kabine waren nicht länger die einzigen Geräusche. Ein dumpfes Pulsieren drang durch das einförmige Weiß. Ein rasch auf- und abschwellendes Dröhnen, ein Schlagen wie von gigantischen Hämmern.
„Er ist da“, flüsterte Emma.
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, oberhalb Kabine 14
Sonntag, 7. Januar, 09:21 Uhr
Benjamins Weichteile zogen sich zusammen, als er in die Tiefe blickte. Weit unter ihm waren heftig schwankende Baumkronen zu erkennen. Darüber, kaum zwanzig Meter von der Unterseite des Helikopters
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