Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
rasch wie der neueste Tratsch aus dem Hause der englischen Königsfamilie.
Ungefähr zwei Dutzend Hände schnellten nach oben. Im Geiste verdrehte Franz die Augen. Er ahnte, was die meisten Fragen zum Inhalt haben würden. Boris, ihr Jurist und Finanzberater, hatte ihn vor der Pressekonferenz darauf hingewiesen, dass Franz nicht verpflichtet war, auf die Fragen zu antworten. Als ob er das nicht selbst wüsste. Offenbar war dem Betriebsrat nicht entgangen, dass die derzeitige Lage prekäre Ausmaße angenommen hatte; ein falscher Schritt mochte den unternehmerischen Abgrund bedeuten.
„Bitte.“ Franz deutete auf eine junge Reporterin in der ersten Reihe. Die Journalistin, eine Vertreterin des ORF Tirol, erhob sich. „Wie ist es möglich, dass die Seilbahn trotz Wetterwarnung noch in Betrieb war, als der Orkansturm begonnen hat?“
Bingo
. Gleich die erste Frage landete den Haupttreffer. Es war nicht etwa so, dass ihn dieses Thema verunsicherte, aber jede mögliche Antwort barg das Potenzial für ein unliebsames Nachspiel; selbst wenn er keine Details nannte.
„Die genauen Umstände sind derzeit noch nicht bekannt“, erwiderte er. „Vermutlich liegt die Ursache in einem Zusammenspiel von technischem Gebrechen und menschlichem Versagen. Alles Weitere wird die nachfolgende Untersuchung ergeben.“
„Was ist mit den Angehörigen? Konnten sie ermittelt werden?“
„Ja. Die Verwandten wurden informiert und werden zurzeit von einem Kriseninterventionsteam versorgt.“
„Wie steht es um die Eingeschlossenen? Sind alle wohlauf?“, warf ein grauhaariger Reporter ein – ohne, dass ihm Franz das Wort erteilt hatte.
„Durch den Zusammenbruch des Mobilfunknetzes und die beschädigten Lautsprecher in der Kabine können wir derzeit keinen Kontakt zu den Fahrgästen aufnehmen. Allerdings wird die Gondel durchgehend vom Boden aus überwacht.“
„Sie wissen also nicht, ob alle gesund sind? Ob vielleicht jemand Verletzungen davongetragen hat oder …“
„Nein, das wissen wir nicht“, unterbrach ihn Franz. „Aber wir tun unser Möglichstes, rasch eine Kommunikationsverbindung herzustellen.“
Eine sanfte Frauenstimme erklang. „Wenn die Bergung erst morgen Vormittag stattfindet, besteht dann nicht die Gefahr, dass sich die Eingeschlossenen Erfrierungen zuziehen?“
Franz stockte der Atem. Ein frostiges Kribbeln brandete durch seinen Körper, als wäre auf einmal er es, der in der Gondel gefangen saß. Er kannte die Frau, die soeben gesprochen hatte. Sehr gut sogar. Sie stand am hinteren Ende des Raums und warf ihm einen wachsamen Blick aus ihren dunklen Rehaugen zu.
Stefanie. Stefanie Wertens. Reporterin für ZDF Bayern – und seine ehemalige Freundin.
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Samstag, 6. Januar, 15:45 Uhr
„Bitte alle mal herhören“, sagte Raphael und erhob seine Stimme. „Hat einer von euch etwas zu essen dabei?“
Mehrere Fahrgäste schüttelten den Kopf.
„Leider nein“, meinte Rüdiger. „Weshalb?“
„Nun ja. Es ist so, dass …“
„Ich habe Typ1-Diabetes“, fiel ihm Sonja ins Wort. Ihre Stimme klang hell und selbstbewusst. Es hatte ihr nie Probleme bereitet, ihre Krankheit offen anzusprechen. „Seit meiner Kindheit. Muss regelmäßig Insulin spritzen. Heute früh habe ich mein Langzeitinsulin genommen und damit gerechnet, dass ich zu Mittag etwas essen werde.“
„Hypoglykämie“, murmelte Matteo. „Sehr unlustig.“
„Genau“, bestätigte Sonja. „Wenn ich nicht ausreichend Nahrung zu mir nehme, besteht die Gefahr, dass mein Blutzuckerspiegel stark absinkt. Das kann bis zur Bewusstlosigkeit führen.“
„Hast du keinen Traubenzucker oder ein Notfall-Set dabei?“, erkundigte sich Rüdiger.
„Tja.“ Sonja warf Raphael einen schiefen Blick zu. „Nur noch ein kleines Stück Traubenzucker. Das will ich aber für den Ernstfall aufheben.“
„Ich hab’ was“, sagte Michelle und kramte in ihrem Snowboardoverall. „Sind nicht mehr die Jüngsten, aber besser als nichts.“ Schüchtern senkte sie den Blick. In ihrer ausgestreckten Hand befanden sich drei Lutschbonbons, die ihrem Aussehen nach wohl einige Wochen – oder Monate – in der Jackentasche verbracht hatten.
„Vielen Dank“, sagte Sonja und lächelte. Sie griff nach den Süßigkeiten und betrachtete sie mit einem überspitzt skeptischen Blick.
„Sehen gerade noch genießbar aus“, meinte sie. „Aber was soll’s; was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“
*
Doris’ Nacken war
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