Käfersterben
Katinka. Wer zum Einkaufen nach Bamberg kam, würde kaum das vorwiegend Kennern vertraute Bad finden, und schon gar nicht zufällig, während der Parkplatzsuche.
Genervt bremste sie. Hardo war kein besonders temperamentvoller Fahrer, zumindest wenn er ausreichend Zeit hatte. Er kroch mit 110 auf der rechten Spur entlang. Sie überlegte, ob sie ihn überholen sollte, wollte ihn aber nicht gerne provozieren. Da stand noch die Sache mit dem Spezialschloss im Raum. Es sah so aus, als wolle er die Sache auf sich beruhen lassen. Aber man konnte bei ihm nie wissen.
Überhaupt ein eigenwilliger Zufall, dass Dani mich im Hainbad trifft, spann sie ihre Gedanken weiter. Wenn sie sich in der Nähe ein Haus kauft, dort für den Sommer einzieht und dann nach Bamberg fährt, wieso ruft sie nicht bei mir an, wie sie es sonst immer getan hat? Katinka musste zugeben, dass Dani selten nach Franken gekommen war, aber sie hatte den Kontakt zu Katinka nie abreißen lassen. Sie war auch nie spontan vor der Tür gestanden, hatte sich immer angemeldet. Katinka zerbrach sich den Kopf, ob Dani irgendetwas darüber hatte verlauten lassen, wie lange sie das Haus schon besaß und darin wohnte. Aber ihr Gedächtnis meldete nichts.
Gedankenverloren folgte sie Hardo, der die Ausfahrt bei Buttenheim nahm und mit müden 70 bis zu der Abzweigung rollte, wo es zum St.-Georgen-Keller ging.
»Sie fahren ganz schön gemütlich«, sagte sie, als sie auf dem Parkplatz neben ihm ausstieg.
»Nur, wenn ich keinen Einsatz habe«, erwiderte er und warf seine Autotür zu. »Mit Ihrem Motor stimmt was nicht.«
»Ich habe es auch schon gehört.« Katinka seufzte. Toms kleiner Schlitten würde bald das Zeitliche segnen. In den letzten Monaten hatte er sich mehr in Werkstätten aufgehalten als anderswo. Der Wagen schwächelte an allen möglichen Stellen. Katinka hatte noch komplizierte Ausführungen einer ganzen Latte von Mechanikern im Ohr: Anlasser, Antriebskette, Zündkerzen, fast schien es, als sei der komplette Motor im Absterben begriffen.
»Was war das eigentlich gestern für ein Notfall?«, wollte Hardo wissen, während sie zur Wirtschaft hin-aufstiegen.
Katinka spürte ihr Gesicht heiß werden. Jetzt war es ihr unangenehm, dass sie seine Nummer gewählt und gleich wieder aufgelegt hatte.
»Toms Mutter hatte einen Schlaganfall. Es ist mitten in der Nacht passiert, von Donnerstag auf Freitag.«
Hardo hörte ihr zu, ohne ein Wort zu sagen. Sie erzählte ihm von dem desaströsen Telefonanruf. Bemühte sich um Sachlichkeit und war dankbar, dass sie ausreichend Übung darin hatte, Sachverhalte kurz und bündig darzulegen. Es kam ihr vor, als erzählte sie eine Geschichte, die sie in der Zeitung gelesen hatte.
Sie suchten sich einen Platz in der Nähe der Überdachung. Erstaunt beobachtete Katinka, wie die Wolken wieder aufrissen. Das geschah um diese Jahreszeit häufig: Das Wetter brodelte und drohte mit grauen, schweren Wolken, böigem Wind und dem Geruch nach Regen, aber nach wenigen Stunden löste sich alles in Wohlgefallen auf, ohne dass ein Tropfen Wasser gefallen wäre. Sie holten Getränke und Essen. Als Katinka den ersten Schluck Radler nahm, klingelte ihr Handy. Sie hoffte, es wäre Tom, und er würde etwas Gutes zu erzählen haben. Auf dem Display erschien ›unbekannter Anrufer‹. Wahrscheinlich rief er von einem Telefon im Krankenhaus an.
»Entschuldigung«, sagte sie zu Hardo. »Palfy?«
In der Leitung verblieb ein Rauschen.
»Hallo? Hallo, wer ist da? Tom? Hallo?«
Es knackte und verwaschener Lärm drang zu Ka-tinka durch.
»Hallo?«
Hardo sah sie so komisch an.
»Katinka?«
Sie war sich zuerst nicht sicher. Aber ihr Unterbewusstes hatte die Stimme schon erkannt. Kein Zweifel. Verzerrt und irgendwie weit weg. Aber identifiziert.
»Dani? Bist du das?«
»Katinka! Hilf mir!«
Erstarrt lauschte Katinka in den Hörer. Wieder Lärm im Hintergrund.
»Wo bist du!«, schrie sie. »Was ist passiert!«
Sie meinte, Dani irgendwas sagen zu hören. Aber mit einem Knack wurde das Gespräch unterbrochen. Katinka nahm das feine Sausen wahr, die weltweite Musik der geheimnisvollen Nervenbahnen zwischen Satelliten, Telefonen und menschlichen Ohren. Sie rief noch einige Male ein halbherziges Hallo in die Sprechmuschel, aber alles blieb still.
»Das war Dani«, sagte Katinka, legte das Handy auf den Tisch und nahm einen großen Schluck Radler. »Sie sagte: ›Katinka, hilf mir.‹ Dann war sie weg.«
Katinka sah auf die Uhr. Es war 15 Uhr 57.
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