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Käfersterben

Käfersterben

Titel: Käfersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Schmöe
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Kinobesuch zu verlassen. Außergewöhnlich genug, dass er diesmal entspannt reagiert hatte. Er lag bei dem Auftrag, an dem er gerade arbeitete, gut in der Zeit. Sie beschlossen, gleich am folgenden Nachmittag nach Thüringen zu fahren und eine Rennsteigwanderung bis Sonntag oder Montag in Angriff zu nehmen. Das schlechte Wetter wollten sie ignorieren. »Schafskälte hin oder her«, sagte Tom. »Es ist nur einmal Juni im Jahr.«
    Doch nun läutete sich das Desaster in den erwachenden Tag. Katinka streckte den Arm aus und tastete nach dem Apparat. Vor ihren kurzsichtigen Augen verschwammen die Gegenstände auf ihrem Nachtkästchen zu konturlosen Wassertieren. Ein leises Klirren verriet, dass ihre Brille auf den Boden gerutscht war. Stocksteif blieb Katinka halb im Bett sitzen. Nur ja nicht drauftreten. Es dauerte eine Weile, bis sie das schnurlose kleine Telefon erwischte. Neben ihr rumorte Tom.
    »Palfy?«
    »Katinka? Ich muss den Jungen sprechen.«
    Katinka erkannte sofort die Stimme von Toms Vater. Sie nahm den flirrenden Unterton wahr. Während sie über den Flickenteppich vor ihrem Bett nach ihrer Brille tastete, sagte sie:
    »Moment, ich gebe das Telefon weiter.«
    Tom starrte sie verschlafen an.
    »Dein Vater.«
    »Hallo?«
    Es brauchte nur wenige Sätze, bis er die Aus-Taste drückte.
    »Meine Mutter ist ins Krankenhaus gekommen. Sie hat einen Schlaganfall. Heute Nacht ist es passiert.« Verwirrt starrte Tom auf das Telefon in seiner Hand.
    Katinkas tastenden Finger blieben über dem Teppich schweben.
    »Wie … wie geht’s ihr?«
    »Mein Vater rief vom Krankenhaus an. Ich muss nach Berlin fahren!«
    Tom war, wie er gerne betonte, als Berliner im fränkischen Bamberg auf verlorenem Posten. Dennoch fuhr er fast nie zu seinen Eltern. Katinka war nur zweimal mit ihm dort gewesen, in einer unterschwellig aufgeladenen Stimmung, ohne dass sie den Grund dafür kannte. Alle sprachen höflich und freundlich miteinander, doch eine hauchfeine Kälte lauerte stets im Raum, wie ein zu früh herbeigewehter Herbst. Tom sprach nicht gerne über seine Kindheit und seine Familie. Katinka nahm an, dass irgendwelche unausgegorenen Konflikte aus alten Zeiten in den Kellern gärten.
    Endlich hatte sie die Brille zwischen ihren Fingern. Sie setzte sie auf. Nun sah sie Toms Haar gestochen scharf von seinem Kopf abstehen wie Igelstacheln.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie.
    Tom saß nur da und starrte auf die Bettdecke.
    »Sie hatte schon immer hohen Blutdruck. Mit ihrer Gesundheit ging sie völlig unvorsichtig um. Sie interessierte sich nicht dafür. Und jetzt …« Er boxte mit der Faust auf sein Kissen.
    Katinka strich mit dem Zeigefinger über sein blasses Gesicht. Über die Augenbrauen, seine hohen Wangenknochen, sein Kinn. Winzige Bartstoppeln kitzelten sie.
    »Wenn sie schnelle Hilfe bekommen hat, stehen die Chancen gut, dass sich alles wieder einrenkt«, sagte sie leise.
    »Jaja«, sagte Tom. »Dreißig Minuten, sagt man. Was länger dauert, ist schon fast ein Todesurteil. Oder die Verurteilung, als Krüppel vegetieren zu müssen.«
    Katinka wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie kuschelten sich zwischen die Decken. Um halb sechs standen sie auf. Tom duschte, und Katinka kochte Kaffee. Kater Vishnu lag auf dem Küchentisch und leckte sein rotgetigertes Fell.
    »Ich fahre gleich«, sagte Tom. »Ich bin unruhig.«
    »Wenn du willst, komme ich mit.«
    »Lieb von dir.« Tom küsste sie auf die Wange. Es war ein flüchtiger Kuss, wie eine kurze Bewegung, um Krümel vom Tisch zu wischen. »Aber ich denke, ich fahre allein. Es gibt Dinge zu klären.«
    Katinka wollte fragen, welche Dinge, aber sie ließ es bleiben. Tom würde keinen Nerv haben, gerade jetzt darauf zu antworten.
    »Jedenfalls kann ich nachkommen. Wenn es nötig ist. Ruf einfach an.«
    Er nickte, schnappte sich eine Tasse Kaffee, klickte sich ins Internet und suchte sich einen Zug heraus. Fluchte, weil der Drucker die Fahrkarte nicht gleich ausspuckte. Katinka brachte ihn zum Bahnhof. Sie war erleichtert, dass er nicht mit dem kränkelnden Ford Fiesta fuhr. Der hätte es wahrscheinlich nicht mal mehr bis Hof geschafft. Irgendetwas klapperte hinterhältig im Motor. Sie parkte, und Tom sprang aus dem Wagen, seine Sporttasche über der Schulter.
    »Ruf an«, bat sie und küsste ihn zum Abschied. Es war ihr, als ob er sie gar nicht hörte.
    Sie fuhr nach Hause. Noch betäubt von Toms plötzlicher Abreise, der kurzen Nacht und dem Schreck über den Schlaganfall seiner

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