Käfersterben
mir Bescheid, sobald Sie etwas haben. Egal um welche Uhrzeit.«
Er legte auf.
»Und?«, wollte Katinka wissen.
»Eine Frau hat kurz vor 22 Uhr auf dem Heimweg in die Amalienstraße einen Wagen gesehen, der vor Ihrer Tür hielt«, sagte er. »Sie konnte sich aber nicht daran erinnern, ob jemand darin saß, ausstieg oder irgendwas anderes tat. Ich frage mich, wo die Leute hinsehen.« Er stand auf und trat ans Fenster.
Katinka trank ihren Kaffee aus. Er schwappte in ihrem Magen herum wie ein warmer Teich. Ihre Hände und Füße waren immer noch eiskalt. Sie stützte das Kinn in ihre Hände und starrte vor sich hin.
»Warum waren Sie so wütend?«, fragte sie leise.
Er drehte sich zu ihr um.
»Verzeihen Sie mir, Katinka. Ich habe einen wahnsinnigen Schrecken bekommen. Ich hatte Angst um Sie.«
»Das sagen Sie jedesmal.«
»Verdammt«, explodierte Hardo und schlug mit der flachen Hand auf das Fensterbrett. »Warum sind Sie allein da raufgegangen? In der Nacht? Bei dieser unklaren Sachlage und einem Fax, das wer weiß wer hätte absenden können? Jemand hätte Sie umbringen können!«
»Schreien Sie nicht so.«
»Entschuldigung.« Er fuhr seinen Ton auf normale Lautstärke herunter. »Aber als Sie vom Staffelberg aus anriefen, hatte ich ja keine Vorstellung, in was für eine Situation Sie da geraten waren. Ich musste mit allem rechnen! Warum sind Sie nicht zu mir gekommen? Warum rufen Sie mich dreimal am Tag an, ohne von den wirklich wichtigen Sachen zu erzählen?«
»Sie hatten doch Besuch«, murmelte Katinka.
Hardo starrte sie einen Moment an und stieß schließlich ein Geräusch aus, das zwischen Lachen, Verblüffung und Kapitulation lag.
»Sie haben aber auch immer eine Begründung auf Halde«, sagte er. »Es tut mir leid. Ich habe ein bisschen zu arg aufs Gas gedrückt da oben. Seien Sie mir nicht böse.«
Katinka lächelte müde: »O.k., gebongt.«
»Ihr Freund«, begann Hardo nach einer Weile. »Was ist da los?«
Katinka zuckte die Achseln. Sie wusste nicht, was wirklich los war. Sie kannte nur die äußere Geschichte. Den Schlaganfall, die halbseitige Lähmung, den Schock, der alle Beteiligten aus einem vermeintlich heiteren Himmel getroffen hatte. Die allmähliche Erkenntnis, dass nichts so sein würde wie früher. Aber das, was sie ängstigte, war die Kälte zwischen ihr und Tom. Seine Verstocktheit und das Gefühl, dass sich etwas bei ihm aufgestaut hatte, von dem sie nichts wusste. Sie erzählte es Hardo. Bedächtig, ein wenig zu ausführlich, mit vielen Schleifen und Wiederholungen. Beobachtete sich, wie sie den Ängsten, dem Kummer und der Verlorenheit Worte gab. Erst vor kurzem hatte sie mit Britta hier gesessen. Sogar Dani hatte sie von ihren Kümmernissen berichtet. War alles losgeworden. Aber nur im Kopf. Im Herzen lauerte nach wie vor der Gefühlsmorast.
»Sie beide sollten mal offen miteinander reden«, schlug Hardo vor, als sie geendet hatte.
»Er spricht ja nicht mit mir«, klagte Katinka. »Auf Nachfragen reagiert er nicht oder meckert mich gleich an.«
»Vielleicht fragen Sie ihn zu investigativ. Wie einen Zeugen«, sagte Hardo lächelnd.
»Haha«, machte Katinka.
»Wir Männer sprechen unser Leid eben nicht aus. Wie verarbeiten es in unserem Innern zu Filz.«
»Und warum tut ihr Männer das?«
Hardo zuckte die Achseln.
»Keine Ahnung. Mysterium. Aber die Tatsache, dass Ihr Freund sich völlig verschließt, muss doch bedeuten, dass etwas wirklich Einschneidendes geschehen ist. Nicht nur der Schlaganfall. Da spielt eine andere Sache mit. Tom braucht Sie, Katinka. Als Dosenöffner.«
Katinka seufzte. Seit sie Tom kannte, hatte sie Probleme damit, die abgründigen, schmerzhaften Dinge anzusprechen. Da lag ein viel zu breiter Graben zwischen ihnen. Normalerweise fiel er nicht auf. Nicht, wenn alles funktionierte, wie es sollte. Aber nun kam es ihr vor, als würde er immer breiter. Zu breit, um ihn mit einem beherzten Sprung zu überwinden.
»Haben Sie eigentlich immer noch diese seltsame Devise ausgegeben, dass der Job vorgeht?«, wollte Hardo schließlich wissen.
»Wieso seltsam«, begehrte Katinka auf.
»Weil es Quatsch ist. Kompletter Müll. Man braucht nichts mehr als einen Menschen.«
Katinka legte die Arme auf die Tischplatte und vergrub ihren Kopf darin. »So was kann auch nur ein Mann sagen«, brummte sie. »Männer kriegen alles: einen Job und ein erfülltes Privatleben. Frauen müssen sich entscheiden, und bekommen trotzdem alles nur zur Hälfte.«
»Damit haben
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