Käfersterben
Fleischmann stand schon wie auf Kohlen.
»Alles sauber«, sagte Hardo.
»Kann ich jetzt fahren?«, fragte Fleischmann.
»Wir brauchen Zeugen.« Hardo fuhr sich über die Glatze.
»Jetzt, mitten in der Nacht?«
Katinka hörte halbherzig zu, wie Hardo seine Kollegen in der Nachbarschaft herumschickte.
»Alle rausklingeln«, ordnete er an. »Palfy, was ist mit der Pizzeria bei Ihnen im Erdgeschoss?«
»Betriebsurlaub. Und die Besitzer sind auch nicht da. Außer unserer Wohnung ist zurzeit alles verwaist im Haus.«
Sie hörte Fleischmann nörgeln und sah zu, wie die beiden Beamten sich an die Arbeit machten.
»Hardo«, flüsterte Katinka, als sie weg waren. »Es tut mir leid wegen vorhin. Ich wollte das nicht sagen. Es war saublöd.«
»Schon vergessen. Kommen Sie.«
Er schob Katinka ins Haus, schloss die Tür zweimal ab und stieg ihr voran.
»Was haben Sie denn vor«, fragte sie, als er ihr ihre eigene Wohnungstür aufhielt.
»Ihr Freund ist noch in Berlin?«
»Ja. Seiner Mutter geht es nach wie vor schlecht.« Katinka stieg ein unangenehm galliger Geschmack in den Mund. Wenn sie jetzt an noch mehr Katastrophen dachte, würde sie nie zur Ruhe kommen. Außerdem war ihr nicht klar, worauf der Kommissar hinauswollte. Hardo machte überall Licht, marschierte dann in die Küche und setzte den Wasserkocher in Betrieb.
»Sie brauchen was Heißes zu trinken«, sagte er. »Haben Sie Tee?«
»Was machen Sie denn da!« Überspannt, wie sie war, fragte sie sich für einen kurzen Moment, ob sie sich hier in ihrer oder in Hardos Wohnung befanden.
»Tee kochen.«
»Aber …«
Er drehte sich zu Katinka um. Seine grauen Augen schimmerten dunkel wie das Eismeer.
»Katinka. Ich möchte nicht, dass Sie jetzt allein sind.«
»Ich komme zurecht«, murmelte Katinka. Die Vorstellung, Hardo gehen zu sehen, seine Schritte verklingen zu hören und allein in der Wohnung zurückzubleiben, mit all den Ängsten und Selbstzweifeln, dem Horror und der Kälte in den Knochen, versetzte sie in Panik. Sie nahm die Brille ab und legte sie auf den Tisch. Sie musste verheult aussehen. Sie konnte es nicht ausstehen, verheult auszusehen.
»Tut mir leid, wenn ich Ihnen widerspreche, aber man hat mir beigebracht, einen Menschen, der einen Schock erlitten hat, niemals allein zu lassen«, dozierte Hardo. Er öffnete ein paar Schranktüren, bis er auf Tee stieß.
»Kamillentee? Hagebuttentee?«
Katinka musste lachen, aber es klang wie ein Schluchzer.
»Lieber Kaffee.«
»Mitten in der Nacht?«, fragte er mit gespielter Entrüstung.
»Trotzdem, Herr Ober. Einen Nescafé, bitte.«
Hardo verzog das Gesicht zu einem Grinsen.
»Sehen Sie zu, dass Sie aus den nassen Klamotten rauskommen.«
»Diese Polizeijacken sind ziemlich warm.«
»Reden Sie keinen Mist. Beeilen Sie sich lieber. Noch kocht das Wasser nicht.«
Katinka ging ins Schlafzimmer. Vishnu lag auf ihrem Bett und stellte sich schlafend. Sie zog alles aus, auch Slip und BH. Keine Sekunde länger wollte sie diese Sachen anhaben. Sie schlüpfte in Toms Pyjama. Aus der Kommode kramte sie ihre wärmsten Socken und einen dicken Skipullover.
»So ist’s brav«, sagte Hardo, als Katinka zurückkam. Er goss Wasser in zwei Tassen und mischte den Nescafé dazu. »Sie nehmen ihn mit Milch, oder?«
Katinka nickte. »Was ist mit Ihnen? Brauchen Sie was Trockenes?«
»Nicht wichtig«, sagte er, servierte den Kaffee und nahm einen großen Schluck. »Wir Männer halten sowas aus.«
Sprachlos starrte Katinka ihn an. Dann begann sie zu lachen. Sie fürchtete, dass daraus schnell hysterisches Weinen werden würde, holte tief Luft und presste die Kiefer aufeinander. Es war schwer, Hardos prüfendem Blick standzuhalten. Sie verkroch sich so tief es ging in den Pullover.
»Immer noch kalt?«
Sie schüttelte den Kopf, aber er griff nach der Wärmflasche, die sie, wie ihr schien, vor langer Zeit auf dem Tisch abgelegt hatte, leerte sie aus und füllte heißes Wasser hinein.
»Wie ich schon sagte, ohne Brille sieht Ihr Gesicht ganz anders aus«, sagte er und reichte die Wärmflasche hinüber.
Katinka schob sie unter ihren Pullover. Sie nahm es als Friedensangebot. Vielleicht würde sie doch wieder auftauen.
Sein Handy klingelte.
»Kerschensteiner. Ist was rausgekommen?«
Hardo hörte eine Weile zu.
»Finden Sie heraus, woher dieses Matchboxauto stammt. Fleischmann soll es mit dem abgleichen, das ich ihm vor kurzem gebracht habe. Sofort. Wenn er Mätzchen macht, rufen Sie mich an. Und Sie geben
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