Käfersterben
abgestellt worden, in dem Ort unterhalb des Staffelbergs. Am Wanderparkplatz.«
Katinkas Kopf surrte und brummte. Das Krankenzimmer kam ihr eng vor, beklemmend. Etwas schien ihren Atem zu bremsen.
»Wo steckte Gwendolyn eigentlich in den Nächten, als die Käfer gestohlen wurden?«
»Das finden wir heraus, sobald wir die Dame haben.«
»Aber glauben Sie denn, dass Gwendolyn auch die Käfer erdolcht hat?«
Hardo seufzte.
»Ich weiß es nicht, Katinka. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Hardo«, flüsterte Katinka, »ich will nach Hause.«
»Ich bringe Sie hin«, sagte Hardo. »Aber zuerst schlafen Sie sich aus.«
»Morgen früh?«, bat Katinka.
»Mal sehen«, sagte Hardo.
Katinka schloss die Augen, riss sie wieder auf.
»Hardo?«
»Ich bleibe bei Ihnen.« Er zog die Decke zurecht.
»Ich habe plötzlich so eine dumme Angst.«
»Ich weiß. Darüber müssen Sie sich nicht grämen. Sie haben’s geschafft. Nun kann’s nur noch besser werden!« Er legte seine rechte Hand auf ihre Wange. Sanft strich er mit dem Daumen über ihr Gesicht. »Werden Sie gesund, Katinka.«
Die Träume wirbelten durch ihren Kopf. Ihr Vater, Dani, Jana und Booz, Tom und Hardo und ganze Polizeiarmeen marschierten darin herum. Katinka konnte fliegen, und vor ihr tauchte ein Krater auf, der sich in einen schwarzen, endlos tiefen Teich verwandelte. Sie raste wie ein Meteorit kopfüber darauf zu. Keuchend versuchte sie, auszuweichen, aber eine unglaubliche Kraft schob sie voran. Nach Luft ringend kämpfte sie sich hoch und wachte auf.
Der Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie beobachtete, wie ihr Herzschlag sich allmählich verlangsamte. Ein paar Atemzüge lang musste sie nachdenken, wo sie war. Sie erinnerte sich an den Überfall, den grauenvollen Schmerz im Arm. Ängstlich versuchte sie, ihn zu bewegen. Er steckte in einer Schlinge, aber sie konnte die Finger bewegen, die Hand auf- und zumachen. Vor Erleichterung hätte sie beinahe angefangen zu weinen. Die Infusionsflasche hatte man abgenommen. Sie hätte gerne die Uhrzeit gewusst. Neben sich hörte sie ein friedliches, sattes Brummen. Vorsichtig drehte sie den Kopf. Er tat ein bisschen weh, vielleicht von den Träumen, vielleicht auch von dem Schlag, den sie abbekommen hatte. Hauptkommissar Harduin Uttenreuther hatte sich einen Stuhl an die Wand geschoben und schlief, den Kopf gegen die Mauer gelehnt. Sein Gesicht schimmerte bleich in dem Dämmerlicht. Feine graue Bartstoppeln krabbelten stachelig über sein Kinn.
Er scheint Schlaf nötig zu haben, dachte Katinka. Verwundert dachte sie darüber nach, dass sie keine Schmerzen hatte. Sie fühlte sich unerwartet frisch und euphorisch. Wenn ein Telefon in ihrer Nähe gewesen wäre, hätte sie stundenlang telefonieren können. Ihr fiel ein, dass Tom morgen in Bamberg sein würde. Britta hatte bestimmt versucht, sie zu erreichen. Katinka war neugierig, wie sie mit den Filmen, die sie beide York abgeluchst hatten, vorankam, und welche Pläne sie schmiedete.
Unmöglich, wieder einzuschlafen. Wie aufgedreht ruckte sie im Bett hin und her. Sie rekapitulierte ihren Traum. Wie war sie nur auf den Teich gekommen. In den letzten Tagen hatte sie immer wieder die Szene vor sich gesehen, wie Jana aus dem Holzhofer Weiher kletterte, grün von Entengrütze. Was tat Jana in diesem Teich. Warum hing Booz auf dem Staffelberg herum. Was für ein Wagen stand vor Katinkas Haustür. Welche mit Kopftuch und Sonnenbrille angetane Frau kaufte nachts ein Matchboxauto an einer Tankstelle.
Jana, immer wieder Jana. Ich habe kein Bild von Gwendolyn, deswegen denke ich an Jana, dachte Katinka.
Endlich war ihr warm. Mit Entsetzen erinnerte sie sich an die Kälte in ihren Knochen, an das Blut, das aus ihrem Arm rann und ihren Pullover durchtränkte.
Jana, eine traumatisierte, labile junge Frau, der die geistige Existenzgrundlage entzogen worden war. Der Tod ihres Verlobten, ihrer großen Liebe, hatte ihr Leben durcheinandergewirbelt, so heftig, dass sie bisher noch nicht über den Verlust hinweggekommen war und sich selbst dabei immer mehr verlor. Jana, die behauptete, Booz zu lieben, aber deren Augen etwas anderes gesagt hatten. Jana, die über das Holzhofer Projekt nicht sprach, auch über ihre eigenen Pläne nicht, die Fragen abwimmelte mit ›Geheimnis‹ oder ›kein Kommentar‹. Katinka fiel ein, wie Booz sich beschwert hatte, dass Jana soviel unterwegs war – zu nachtschlafender Zeit. Es mochte sein, dass Booz Jana nachfuhr, wenn sie sich spät im
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