Käfersterben
trat. »Was soll ich nur mit Ihnen machen!«
Seine samtweiche, tiefe Stimme wehte über sie hin wie ein warmer Wind.
»Ich dachte …«, begann Katinka verwirrt und versuchte sich aufzurichten. »Die Schwester hat gesagt … mein Vater …«
»Da hat sie wohl was verwechselt«, sagte Hardo. »Sie sollten …«
»Haben Sie ihn verhaftet?« Ihr schoss das ganze Chaos in den Sinn, Passagierlisten, das Verhältnis ihres Vaters zu Dani. Dann schlossen sich andere Dinge an, Leichen mit Schwertern in der Brust, ermordete Käfer, Booz und sein Drahthaar. Jana im Teich. Katinka wurde schwindelig.
»Nein. Aber … ich glaube nicht, dass Sie im Augenblick in der Verfassung …«
Katinka ruderte wütend mit dem einzigen beweglichen Arm herum.
»Ich will wissen, was passiert ist«, rief sie. »Wo ist mein Vater? Was ist mit Gwendolyn? Warum sind Sie nicht ans Telefon gegangen? Ich habe Sie hunderttausendmal angerufen. Zuerst machen Sie mir die Hölle heiß, ich soll mich melden, und dann …«
Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihre Hand. Mit ihren heftigen Bewegungen hatte sie an der Infusionsnadel gerissen. Stöhnend ließ sie den Kopf sinken. Sie hörte einen Stuhl rücken und bemerkte eine Hand auf ihrer Wange, so warm, dass ihre Haut zu brennen schien.
»Mist«, flüsterte sie, den Tränen nah.
Hardo lachte: »Ein bisschen vorsichtig müssen Sie schon sein«, sagte er. »Der Liter Infusionslösung ist doch ganz appetitlich!« Er wies auf die Plastikflasche. »Mindestens so nährstoffhaltig wie ein frischgezapftes Bier!«
»Mir ist kalt«, murmelte Katinka. Sie musste die Augen schließen, die verwischten Bilder strengten sie an. Sie hörte, wie Hardo nach der Schwester rief.
»Sie friert«, hörte sie ihn sagen.
»Ich bringe eine Heizdecke«, sagte die Schwester. Sie kam schnell zurück. »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Palfy. Der Schock, die Narkose, die Anstrengung … Es wird Ihnen gleich warm, keine Angst.«
Die reden mit mir wie mit einer Durchgeknallten, dachte Katinka und begann zu grübeln, ob irgendwas mit ihren Nerven nicht in Ordnung war. Die Schwester ging. Im Zimmer war es ganz still. Katinka musste die Augen gar nicht öffnen, sie spürte, dass Hardo neben ihr saß. Nach einer Weile griff er nach ihrer Hand und hielt sie behutsam fest.
»Nicht, dass s ie den Angelhaken hier rausreißen«, sagte er.
»Was ist denn passiert!«, sagte Katinka müde. »Bitte. Reden Sie doch mit mir.«
»Sie versprechen mir, ganz brav liegen zu bleiben, o.k.?«, sagte Hardo. »Keine theatralischen Gesten. Dann liefere ich Ihnen die Geschichte. Sie geben ja ohnehin keine Ruhe.«
»Abgemacht. Wo ist mein Vater?«
»Das wissen wir nicht«, erwiderte Hardo. »Wir haben ihn nicht zur Fahndung ausgeschrieben, wenn Sie das meinen. Sie müssen sich also darüber keine Gedanken machen. Im Grunde brauchen wir ihn nicht mehr so dringend.«
»Haben Sie Gwendolyn?«
»Gwendolyn alias Petra Stein«, sagte Hardo. »Wir fahnden nach ihr.«
»Wieso sind Sie nicht ans Handy gegangen«, flüsterte Katinka vorwurfsvoll. Nach und nach drang die Wärme in ihren Körper.
»Ich erzähle mal von Anfang an«, sagte Hardo. »Also: Unsere Ermittlungsgruppe arbeitet derzeit noch an etlichen anderen Fällen. Wie ich schon sagte: alle sind überlastet. Nachdem Sie mich letzte Nacht aus dem Urlaub quasi zurückbeordert hatten, konnte ich meine Zeit ebensogut nutzen, mich mit einer Serie von schweren Raubüberfällen zu beschäftigen, an deren Aufklärung wir seit Wochen arbeiten. Obwohl alle baggern wie die Maurer, sind wir noch nicht weitergekommen. Erst heute ergab sich ein Durchbruch. Alle Mann mussten so schnell es ging zum Einsatz. Deswegen haben Sie mich im Büro nicht erreicht.«
»Aber Ihr Handy ...«
»Der Akku war leer«, knurrte Hardo. Seine Stimme holperte. »Ich habe es nicht mal gemerkt. Es gab eine Menge Aufregung. Wir konnten ein paar Leute festnehmen. Vermutlich nicht die Köpfe der Bande, aber immerhin ein erster Schritt. Später habe ich mich gewundert, warum das Mistding überhaupt nicht läutet.« Er fluchte innig und in breitestem Fränkisch. »Ich schickte Fleischmann zurück ins Büro. Er sollte auf meinem Schreibtisch nach ein paar Papieren sehen, die wir für die Verhöre brauchten. Da fand er einen Zettel, den der Diensthabende hinterlegt hat: Ich sollte mich umgehend bei Ihnen melden. Fleischmann verständigte mich über Funk. Ich habe Sie sofort zurückgerufen. Sie gingen aber nicht ran.«
»Ich habe
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