Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
fragte Karen.
»Wusstest du, dass sie zu dieser Sitzung gehen wollte?«, fragte er zurück und drückte sich auf diese Weise um die Antwort herum.
»Ich habe María hingefahren«, sagte Karen. »Der Mann heißt Andersen.«
»Leonóra hat also tatsächlich vorgehabt, es María wissen zu lassen, ob sie nach dem Tod in ein anderes Leben übergegangen sei«, sagte Erlendur.
»Ich finde nichts Merkwürdiges dabei«, erklärte Karen. »María und ich haben oft darüber gesprochen. Sie hat mir von Marcel Proust erzählt. Wie erklärst du dir so etwas?«
»Dafür gibt es sicher etliche Erklärungen«, sagte Erlendur.
»Du glaubst nicht an so etwas, nicht wahr?«, fragte Karen.
»Nein«, antwortete Erlendur. »Aber ich kann María gut verstehen. Ich kann gut verstehen, warum sie sich entschlossen hat, zu einem Medium zu gehen.«
»Es gibt doch viele, die an ein Leben nach dem Tod glauben.«
»Mag sein«, sagte Erlendur, »aber ich gehöre nicht dazu. Das, was Menschen über ihre Todesstunde berichtet haben, das mit dem hellen Licht und dem Tunnel, das sind meiner Meinung nach nur die letzten Signale des Gehirns, bevor es abschaltet.«
»María dachte anders darüber.«
»Hat sie auch mit anderen über diese Sache mit dem Buch von Proust gesprochen?«
»Das weiß ich nicht.«
Karen saß da und sah Erlendur an, als überlege sie, ob sie sich an den richtigen Mann gewandt oder einen Fehler gemacht hatte. Erlendur blickte Karen ebenfalls unverwandt an. Das Wohnzimmer lag im Halbdunkel.
»Dann hat es wohl keinen Sinn, dir das zu sagen, was María mir noch kurz vor ihrem Tod erzählt hat.«
»Du musst mir nichts sagen, was du nicht sagen willst. Es geht darum, dass deine Freundin sich das Leben genommen hat. Es kann gut sein, dass es schwierig für dich ist, dieser Tatsache ins Auge zu sehen, aber auf dieser Welt geschieht viel, womit man sich nur schwer abfinden kann.«
»Das weiß ich sehr gut, und ich weiß auch, wie es María ging, nachdem Leonóra gestorben war. Trotzdem finde ich das Ganze etwas seltsam.«
»Was?«
»María hat gesagt, sie hätte ihre Mutter gesehen.«
»Sie hat sie nach ihrem Tod gesehen?«
»Ja.«
»Auf einer Séance?«
»Nein.«
»Soweit ich weiß, hat María vieles gesehen und hatte unerhörte Angst vor der Dunkelheit.«
»Das weiß ich nur zu gut«, sagte Karen. »Das hier war aber ein wenig anders.«
»Inwiefern?«
»Vor ein paar Wochen ist sie nachts aufgewacht, und da stand Leonóra in der Tür zum Schlafzimmer; sie war sommerlich gekleidet, hatte ein Band im Haar und trug einen gelben Pulli. Sie bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ihr zu folgen, und überschritt die Türschwelle, doch als María hinter ihr herging, war sie verschwunden.«
»Da siehst du, in was für einer schlimmen Verfassung sie da schon war«, sagte Erlendur.
»Ich würde an deiner Stelle etwas vorsichtiger damit sein, ein Urteil über sie zu fällen«, entgegnete Karen. »Du hast auf der Kassette gehört, wie Leonóra sich bemerkbar machen wollte?«
»Ja«, antwortete Erlendur.
»Und?«
»Und nichts. Das Buch ist aus dem Regal gefallen. So etwas kann passieren.«
»Genau dieses Buch?«
»Vielleicht hatte sie es selbst herausgenommen und das nur vergessen. Vielleicht hat sie Baldvin von dem Buch erzählt, und er hat es herausgenommen und hat das vergessen. Vielleicht hat sie irgendwelchen Gästen davon erzählt, und die haben sich an dem Buch zu schaffen gemacht. Sie hat dir ja auch davon erzählt.«
»Ja, aber ich hätte das Buch nie auf den Boden fallen lassen und es da liegen lassen«, sagte Karen.
»Ich glaube an Zufälle«, sagte Erlendur. »Außerdem scheint Leonóra dauernd in dem Haus herumgespukt zu haben. Das hätte doch schon als Zeichen für ein Weiterleben nach dem Tod genügen müssen. Der frühere Freund von María hat gesagt, dass sie ständig in irgendwelchen Traumzuständen Leute gesehen hat, die sie kannte.«
Sie schwiegen eine ganze Weile.
»Du weißt also, wer dieses Medium da auf der Kassette ist?«, fragte Erlendur schließlich.
»Ja. Er ist nicht sehr bekannt. Ich habe María hingeschickt, weil eine andere Freundin bei ihm gewesen ist, deswegen wusste ich von ihm.«
»Wie bist du an diese Aufzeichnung herangekommen?«
»María hatte sie mir vor nicht allzu langer Zeit ausgeliehen. Ich wollte mir gern mal so eine Séance anhören. Ich bin selbst noch nie auf einer spiritistischen Sitzung gewesen.«
»Weißt du, ob sie auch noch andere Medien aufgesucht hat?«
»Sie
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