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Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Titel: Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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und im Gegenzug kümmerte sich auch niemand um ihn. Wenn auf Reykjavíks Straßen bittere Kälte herrschte, suchte er manchmal bei der Polizei oder bei der Heilsarmee Unterschlupf.
    Als Erlendur zum zweiten Mal von seinem Büro im Hauptdezernat an der Hverfisgata zu der Bruchbude beim Rauðarárstígur ging, um Tryggvi zu finden, traf er einen Mann an, den man mit etwas gutem Willen als seinen Wohnpartner bezeichnen konnte. Er war ziemlich zugedröhnt und lag mit aufgestütztem Ellbogen auf einer dreckigen Matratze, die irgendwann einmal auf den nackten Boden gelegt worden war, um es etwas bequemer zu machen. Es regnete, und neben der Matratze hatte sich eine Pfütze gebildet. Um sie herum lagen leere Schnapsflaschen und kleine Fläschchen, in denen Backaroma gewesen war, außerdem Spiritusbehälter und zwei Spritzen mit kurzen Nadeln. Der Mann auf der Matratze sah blinzelnd zu Erlendur hoch. Das eine Auge war dick geschwollen.
    »Wer bist du?«, fragte er mit heiserer, kaum verständlicher Stimme.
    »Ich suche nach Tryggvi«, sagte Erlendur. »Soweit ich weiß, hält er sich manchmal hier auf.«
    »Tryggvi? Der ist nicht hier.«
    »Das sehe ich. Kannst du mir sagen, wo er zu dieser Tageszeit sein könnte?«
    »Ich hab ihn lange nicht gesehen.«
    »Er schläft aber doch manchmal hier.«
    »Das hat er gemacht«, sagte der Mann und setzte sich auf. »Aber er ist schon ganz schön lange nicht mehr hier bei uns gewesen. Was ist heute für ein Tag?«
    »Spielt das irgendeine Rolle?«
    »Hast du was zu trinken für mich?«, fragte der Mann und klang hoffnungsfroh. Er trug einen dicken Parka und darunter einen Pullover, eine braune Hose und abgewetzte Stiefel, die bis zu den knochigen Waden hochreichten. Erlendur stellte fest, dass seine Lippe aufgeplatzt war. Es hatte ganz den Anschein, als sei der Mann erst vor Kurzem in eine Schlägerei verwickelt gewesen.
    »Nein. Was ist mit Tryggvi?«, fragte der Mann.
    »Nichts Besonderes«, sagte Erlendur. »Ich möchte ihn nur treffen.«
    »Bist du vielleicht sein Bruder?«
    »Nein. Wie geht es Tryggvi?«
    Erlendur wusste, dass der Uringeruch den ganzen Tag in seinen Sachen hängen bleiben würde, falls er sich zu lange in diesem Loch aufhielt.
    »Keine Ahnung, wie es ihm geht«, sagte der Penner, der anscheinend plötzlich von gerechtem Zorn erfüllt wurde. »Ey, was glaubst du wohl, wie es ihm geht? Kann es einem anders als dreckig gehen?! Willst du ihn vielleicht aus der Gosse holen? Und dann kommen diese verdammten Rotznasen und schlagen einen einfach zu Brei und drohen, dass sie einen in Flammen aufgehen lassen.«
    »Wer?«
    »Diese verdammten Straßenbengel! Die lassen einen nie in Ruhe.«
    »Ist das vor Kurzem passiert?«
    »Vor ein paar Tagen. Die werden von Jahr zu Jahr schlimmer, diese verfluchten Rotznasen.«
    »Haben sie sich auch Tryggvi vorgeknöpft?«
    »Ich habe Tryggvi …«
    »… lange nicht gesehen, in Ordnung«, führte Erlendur den Satz zu Ende.
    »Versuch’s mal in den Kneipen, da hab ich ihn zuletzt gesehen. Im Napóleon. Er muss irgendwie Kohle haben, sonst hätten sie ihn vor die Tür gesetzt.«
    »Danke«, sagte Erlendur.
    »Hast du Geld?«, fragte der Mann.
    »Wirst du das nicht sofort in Schnaps umsetzen?«
    »Spielt das irgendeine Rolle?«, sagte der Mann und blinzelte Erlendur an.
    »Nein, wohl kaum«, erwiderte Erlendur und grub in seinen Taschen nach Geld.
    Im Napóleon hatte sich kaum etwas geändert, seit Erlendur zuletzt dort gewesen war. Ein paar Männer saßen über einzelne wacklige Tische gebeugt, der Barkeeper in schwarzer Weste über einem roten Hemd löste ein Kreuzworträtsel, und im Rundfunk wurde der Fortsetzungsroman vorgelesen.
    Erlendur wusste nur ganz wenig über den Mann, nach dem er suchte. Er hatte sich noch einmal telefonisch mit dem Schauspieler Orri Fjeldsted in Verbindung gesetzt. Orri war sehr gesprächig gewesen; inzwischen hatte er viel Zeit, da Othello vorzeitig vom Spielplan abgesetzt worden war. Orri wusste nicht viel mehr als das, was er bereits angedeutet hatte: dass Tryggvi vom Leben zum Tode befördert und wieder ins Leben zurückgeholt worden war. Er war sich sicher, dass Baldvin daran beteiligt gewesen war, konnte sich aber nicht an den Namen von Tryggvis Cousin erinnern, der dieses Experiment damals durchgeführt hatte. Er verwies Erlendur an die Universität. Dort fand Erlendur heraus, dass Tryggvi nach dem ersten Jahr an der theologischen Fakultät aufgehört hatte und zur medizinischen übergewechselt war.

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