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Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Titel: Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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ihn erinnern, wie er war, als er verloren ging.
    Bergur erschien ihm nie in seinen Träumen.
    Jahrzehnte später, als er sich ganz allein in einem kalten Hotelzimmer befand, träumte er endlich von Bergur. Das Traumgesicht verfolgte ihn noch, als er schon wach war. Er sah seinen Bruder auf der Grenze zwischen Traum und Wachen vor sich, zitternd und zusammengekauert in einer Ecke des Zimmers; er hatte das Gefühl, ihn berühren zu können. Als die Erscheinung verschwunden war, blieb er zurück mit der alten Sehnsucht nach einem Wiedersehen in der Brust, zu dem es nie kam.

 
    Nachdem sie »Unterwegs zu Swann« auf dem Boden vor dem Regal gefunden hatte, ließen Marías Ängste etwas nach und sie begann, sich besser zu fühlen. Ihre Träume waren nicht mehr so düster, die traumlosen Nächte vermehrten sich sogar, und sie war nach dem Schlaf ausgeruhter.
    Baldvin zeigte auch mehr Verständnis für sie. Sie wusste nicht, ob er Angst davor hatte, dass sie den Verstand verlieren würde, oder ob es ein Zeichen dafür war, dass Leonóra mehr Einfluss auf ihn gehabt hatte, als er zugeben wollte.
    »Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn du dich an ein Medium wenden würdest«, hatte Baldvin eines Abends gesagt.
    María hatte ihn verwundert angeschaut. Das hatte sie nicht von Baldvin erwartet, er hatte bislang immer nur eine ablehnende Haltung gegenüber spiritistischen Dingen an den Tag gelegt. Deswegen hatte sie ihm auch verschwiegen, dass sie zu Andersen gegangen war. Sie wollte eine Auseinandersetzung darüber vermeiden, und zudem fand sie immer noch, dass alles, was sie und ihre Mutter betraf, ihre Privatangelegenheit war.
    »Ich dachte, du wärst dagegen«, sagte sie.
    »Ja, ich … Aber falls es dir etwas hilft, dann spielt es keine Rolle, was es ist und woher es kommt.«
    »Kennst vielleicht ein Medium?«, fragte sie.
    »Nein …«, antwortete Baldvin mit einigem Zögern.
    »Aber? Weshalb zögerst du so?«
    »Im Krankenhaus haben sie darüber geredet, die Kardiologen.«
    »Über was?«
    »Ein Weiterleben. Da ist vor Kurzem etwas passiert. Ein Mann, der auf dem op-Tisch für zwei Minuten tot war. Es war mitten in einer Herzoperation, und es kam zum Herzstillstand. Sie mussten ihm mehrere Stromstöße verpassen, bevor es wieder zu schlagen begann. Er hatte Nahtoderfahrungen.«
    »Wem hat er davon erzählt?«
    »Allen. Den Krankenschwestern und den Ärzten. Er hatte vorher nie etwas mit Religion am Hut gehabt, sagte aber, dass sich das nach dieser Erfahrung geändert hätte.«
    Sie schwiegen.
    »Er hat gesagt, dass er in eine andere Welt übergegangen sei«, sagte Baldvin.
    »Ich hab dich noch nie danach gefragt: Passieren häufig solche Dinge im Krankenhaus?«
    »Natürlich hört man immer wieder solche Geschichten. Es gibt sogar Beispiele dafür, dass die Menschen andere regelrecht an sich herumexperimentieren ließen, weil sie nach Antworten auf diese Fragen nach einem Weiterleben suchten.«
    »Wie haben sie das gemacht?«
    »Durch Herbeiführung von Todesnähe. Das ist ein bekanntes Phänomen. Ich hab irgendwann mal einen schlechten Film darüber gesehen. Aber wie dem auch sei, im Krankenhaus haben sie über Sehende und Medien gesprochen, die Ärzte, und irgendeiner von ihnen kannte jemanden angeblich gut, weil seine Frau bei ihm gewesen war. Ich … Ich habe gedacht, dass das womöglich etwas für dich wäre.«
    »Wie heißt er?«
    »Es ist eine Frau, sie heißt Magdalena. Ich habe überlegt, ob du nicht zu ihr gehen solltest. Vielleicht könnte es dir ja helfen.«

Fünfzehn
    Die letzte bekannte Bleibe von Tryggvi war ein Matratzenlager in einer dreckigen, übel riechenden Behausung in der Nähe des Rauðarárstígur. Dort hielt er sich manchmal auf, zusammen mit drei anderen Pennern, ehemaligen Knastbrüdern und Säufern. Sie befand sich in einem mit altem Krempel vollgestopften, wellblechverkleideten Haus, das abgerissen werden sollte. Die Fenster waren zerbrochen, das Dach war leck, und überall stank es nach Katzenpisse. Die Hausbesitzer hatten es geerbt, hatten sich aber nicht um das Haus gekümmert, da sie sich erbittert um die Erbschaft stritten. Die vier Männer konnten kaum als Hausbesetzer gelten; zu einer derartigen Aktion fehlte es ihnen an Initiative und Energie. Tryggvi war das ein oder andere Mal mit der Polizei in Berührung gekommen, weil er betrunken gewesen war und obdachlos. Soweit Erlendur sehen konnte, war er ein friedfertiger Mensch, ein Einzelgänger, der sich um niemanden kümmerte,

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