Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
hielt Ausschau nach der Frau, die er hier treffen sollte. Sie saß an einem der Tische, drehte ihm den Rücken zu und beugte sich mit einer fast aufgerauchten Zigarette zwischen den Fingern über eine Tasse Kaffee. Er zögerte einen Augenblick. Von den zahlreichen Tischen waren nur wenige besetzt, mit Lkw-Fahrern, die in Zeitungen blätterten, und Handwerkern, die eine verspätete Kaffeepause machten und sich dazu irgendwelches Gebäck einverleibten. Ihnen blieben nur noch ein paar Minuten für sich selbst, bevor sie wieder zur Arbeit zurückmussten. Das verschlissene Linoleum auf dem Fußboden und die abgewetzten Polster auf den Stühlen passten zu ihren wettergegerbten Gesichtern und schwieligen Händen. Das Lokal war letzten Endes mehr oder weniger eine Kantine für die arbeitende Bevölkerung und kein Restaurant; es war nicht gestrichen worden, seit Erlendur dort verkehrte. Nirgendwo in der Stadt bekam man besseres Pökelfleisch in der dazugehörigen süßlichen Mehlschwitze. Er hatte das Skúlakaffi für ihr Treffen vorgeschlagen, und laut Eva Lind hatte sie keine Einwände gehabt.
»Grüß dich«, sagte er, als er zu ihrem Tisch kam.
Halldóra blickte von ihrer Kaffeetasse hoch. »Dito«, sagte sie, und es war kaum möglich, diesem Gruß irgendetwas zu entnehmen.
Er streckte ihr die Hand hin, und sie hob ihre ebenfalls, aber nur, um nach der Kaffeetasse zu greifen und einen Schluck zu trinken.
Er vergrub seine Hand wieder in seiner Manteltasche und nahm ihr gegenüber Platz.
»Du verstehst dich darauf, ein Lokal auszuwählen«, sagte sie und drückte ihre Zigarette aus.
»Hier gibt es richtig gutes Pökelfleisch«, sagte Erlendur.
»Aha, dein primitiver Geschmack hat sich offensichtlich nicht geändert«, konstatierte Halldóra.
»Wahrscheinlich nicht«, entgegnete er. »Wie geht es dir?«
»Meinetwegen brauchst du nicht irgendwelche Höflichkeiten von dir zu geben«, erklärte Halldóra und sah vom Tisch hoch.
»In Ordnung«, sagte Erlendur.
»Eva hat mir gesagt, dass du mit einer Frau zusammenlebst.«
»Wir leben nicht zusammen«, erwiderte Erlendur.
»Ach nee? Und was macht ihr dann?«
»Wir kennen uns gut. Sie heißt Valgerður.«
»Aha.«
Sie schwiegen beide.
»Das ist doch alles Käse«, erklärte Halldóra plötzlich, schnappte sich ihre Zigaretten und das Wegwerffeuerzeug und stopfte beides in ihre Manteltasche. »Ich weiß echt nicht, weshalb ich gekommen bin.«
»Geh nicht«, sagte Erlendur.
»Doch, ich muss gehen«, sagte Halldóra. »Ich hab keine Ahnung, was sich Eva Lind von diesem Treffen erwartet hat. Das ist doch völliger Blödsinn …«
Erlendur streckte seine Hand über den Tisch und fasste nach ihrem Arm. »Geh nicht«, wiederholte er.
Sie sahen sich in die Augen. Halldóra entzog ihm ihren Arm, ließ sich aber wieder auf den Stuhl fallen.
»Ich bin bloß gekommen, weil Eva das wollte«, sagte sie.
»Ich auch«, sagte Erlendur. »Wollen wir das nicht ihr zuliebe mit Anstand hinter uns bringen?«
Halldóra holte eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Erlendur glaubte zu sehen, dass »Mallorca« auf dem Feuerzeug stand. Ihm war nicht bekannt, dass sie in letzter Zeit in den sonnigen Süden gefahren war. Vielleicht hatte sie es ja gekauft, um Erinnerungen an einen Sonnenurlaub heraufzubeschwören. Oder um den Traum von heißem Sand an irgendeinem Strand wachzuhalten. Er hatte sich einmal geweigert, mit ihr in den Süden zu fahren, und gesagt, er habe an solchen Orten nichts zu suchen. »Du sollst ja auch gar nichts suchen«, hatte Halldóra daraufhin erwidert, »man fährt dorthin, um nichts zu tun!«
»Eva hält sich erstaunlich gut«, erklärte Halldóra.
»Das sollten wir vielleicht ebenfalls versuchen«, antwortete Erlendur. »Ich glaube, es würde ihr helfen, wenn wir einen Weg finden würden, sie gemeinsam zu unterstützen.«
»Die Sache hat bloß einen Haken«, sagte Halldóra. »Ich will nichts mir dir zu tun haben, und sie weiß das. Ich habe es ihr oft genug gesagt.«
»Das kann ich gut verstehen.«
»Verstehen?«, stieß Halldóra hervor. »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass es mich interessiert, was du verstehst oder nicht verstehst? Du hast unsere Familie zerstört, einzig und allein du hast sie auf dem Gewissen. Du bist einfach abgehauen, als würden dich die Kinder gar nichts angehen. Bildest du dir wirklich ein, dass du irgendetwas verstehst?«
»Ich bin nicht einfach abgehauen, das stimmt nicht, und es war nicht schön von
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