Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
Alkohol anging, begann er aber bereits damals, die Kontrolle zu verlieren.
»Wahnsinn, so etwas zu lesen«, hatte sein Cousin gesagt. »Die haben bei einem Kommilitonen einen Herzstillstand herbeigeführt und ihn drei Minuten im Todeszustand gehalten, bevor sie ihn wiederbelebten. Die Justiz weiß nicht, was sie mit denen machen soll. Sie haben ihn einerseits umgebracht, aber andererseits auch wieder nicht, verstehst du?«
Sein Cousin schien wie besessen von dieser Idee zu sein. In den folgenden Wochen hatte er immer wieder über diese Medizinstudenten gesprochen, hatte den Prozess gegen sie verfolgt und Tryggvi zugeflüstert, dass er Interesse hätte, auch einmal so etwas auszuprobieren. Davon hatte er schon lange geträumt, und diese Meldung aus Frankreich hatte ihn darin bestärkt.
»Du hast doch Theologie studiert, du musst doch auch neugierig sein«, hatte er eines Tages zu Tryggvi gesagt, als sie im Erfrischungsraum der medizinischen Fakultät saßen.
»Ich will mich nicht umbringen lassen«, hatte Tryggvi erwidert. »Such dir jemand anderes.«
»Es gibt keinen anderen«, hatte sein Cousin gesagt. »Das passt alles hundertprozentig auf dich. Du bist jung und kräftig, und in unserer Familie gibt es keinerlei Herzkrankheiten. Dagmar wird auch dabei sein und dann noch Baddi, das ist ein Kommilitone von mir. Ich hab mit denen gesprochen. Das ist alles total sicher. Passieren kann gar nichts. Ich meine, du hast doch so oft über diese Fragen spekuliert, das Leben nach dem Tod und das alles.«
Tryggvi wusste, wer Dagmar war. Sie war ihm gleich aufgefallen, als er mit dem Medizinstudium begann.
»Dagmar?«, hatte er gefragt.
»Ja«, hatte sein Cousin gesagt, »und die ist ganz gewiss nicht auf den Kopf gefallen.«
Das wusste Tryggvi. Sie war mit seinem Cousin befreundet und hatte auf dem ersten und einzigen Medizinstudentenball, den er besucht hatte, mit ihm gesprochen. Sie wusste, dass Tryggvi und er Cousins waren. Seitdem hatte er sich immer ganz nett mit ihr unterhalten, wenn sie sich zufällig trafen. Für ihn war sie ein wunderbares Mädchen. Tryggvi hatte aber nicht den Schneid, den nächsten Schritt zu tun.
»Will sie wirklich da mitmachen?«, hatte er verwundert gefragt.
»Selbstverständlich«, hatte sein Cousin geantwortet.
Tryggvi hatte den Kopf geschüttelt.
»Und ich bezahl dich natürlich dafür«, hatte sein Cousin gesagt.
Zum Schluss hatte Tryggvi nachgegeben. Er konnte sich nicht erinnern, weshalb genau er sich hatte überreden lassen. Ihm fehlte ständig Geld, er sehnte sich danach, diese Dagmar näher kennenzulernen, sein Cousin hatte nicht lockergelassen, und es war ihm gelungen, Tryggvis Interesse an einem Leben nach dem Tod, neu zu entfachen. Der Cousin wusste von diesem Interesse. In jüngeren Jahren hatten sie häufig über diese Dinge diskutiert, über Gott, das Himmelreich, die Hölle. Beide kamen sie aus sehr religiösen Familien. Sie wurden zur Sonntagsschule geschickt, gingen regelmäßig zur Kirche und nahmen aktiv am Gemeindeleben teil. Mit dem Älterwerden verlor sich das religiöse Interesse, stattdessen kamen ihnen Zweifel an vielen Glaubensgrundsätzen, Zweifel an der Auferstehung und am ewigen Leben, am Vorhandensein des Himmelreichs. Tryggvi war der Meinung, dass er zunächst wohl deswegen Theologie studiert hatte, wegen der Zweifel, die er hatte, im Verbund mit diesen drängenden Fragen, die ihn sein Leben lang verfolgt hatten: Was, wenn? Wenn es einen Gott gab? Wenn es ein ewiges Leben gab?
»Wir haben doch so oft darüber gesprochen«, hatte sein Cousin gesagt.
»Es ist eines, darüber zu reden, aber …«
»Wir machen das nur eine Minute lang. Du hast eine Minute, um ins Jenseits zu gelangen.«
»Aber ich …«
»Hast du nicht Theologie studiert, um Antworten auf diese Fragen zu finden?«, hatte sein Cousin gefragt.
»Und du?«, fragte Tryggvi zurück. »Was willst du damit beweisen?«
Sein Cousin hatte gegrinst. »Nie passiert was, und nie macht jemand was«›, hatte er erwidert, »auf jeden Fall nichts in dieser Art. Das ist ein spannendes Experiment, um das mit dem Tunnel und dem hellen Licht zu überprüfen, weil wir es machen können, ohne dass es riskant wird. Wir können das.«
»Und warum experimentierst du nicht an dir selbst? Warum schläfern wir dich nicht ein?«
»Weil wir einen erstklassigen Arzt brauchen, und bei allem Respekt vor dir, mein lieber Cousin, ich bin ein besserer Arzt als du.«
Tryggvi beschaffte sich Lektüre über den
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