Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
Prozess gegen die französischen Medizinstudenten. Es war ihnen gelungen, ihren Kommilitonen wieder zum Leben zu erwecken, und nach eigenen Aussagen hatte der sich völlig davon erholt und war genauso gesund und fit wie zuvor.
An dem Abend, an dem sie den Plan verwirklichten, hatte sein Cousin Geburtstag, er wurde siebenundzwanzig. Sie trafen sich zunächst alle zu Hause bei ihm, die beiden Cousins, Dagmar und dieser Baddi, und fuhren von dort aus zum Krankenhaus. Tryggvis Cousin hatte alles in einem leeren Krankenzimmer mit Badewanne vorbereitet und dort ein ekg -Gerät und einen Defibrillator bereitgestellt. Tryggvi hatte sich in die Badewanne gelegt, in der ständig kaltes Wasser zulief, und außerdem hatten sie sich kiloweise Eiswürfel besorgt, die sie in die Badewanne gaben.
Tryggvis Herzschlag verlangsamte sich immer mehr, und er verlor das Bewusstsein.
»Ich erinnere mich nur daran, wie es war, als ich wieder aufwachte«, sagte Tryggvi und beobachtete einen leeren Überlandbus, der auf einen Fahrsteig einbog. Es hatte angefangen zu regnen, und der Himmel im Süden war tief verhangen. Der Regen strömte an den Scheiben hinunter.
»Und was ist damals geschehen?«, fragte Erlendur.
»Nichts«, antwortete Tryggvi. »Nichts ist geschehen. Ich spürte nichts, ich sah nichts. Keinen Tunnel, kein Licht. Gar nichts. Ich schlief ein und wachte wieder auf. Mehr war es nicht.«
»Aber das Experiment war gelungen, sie haben es geschafft, dich zu … dich zu töten?«
»So behauptete mein Cousin.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er ging zur Spezialausbildung in die usa , und seitdem lebt er dort.«
»Und Dagmar?«
»Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich habe sie seitdem … seit diesen Ereignissen nie wiedergesehen. Ich habe mit Medizin aufgehört, habe das ganze Studium hingeschmissen. Bin zur See gegangen, da fühlte ich mich wohler.«
»Hast du dich denn schlecht gefühlt?«
Tryggvi gab ihm keine Antwort.
»Haben die das später noch einmal wiederholt?«, fragte Erlendur.
»Darüber weiß ich nichts.«
»Hast du dich wieder ganz davon erholt?«
»Wovon hätte man sich erholen sollen?«, sagte Tryggvi.
»Und da war kein Gott?«
»Kein Gott. Kein Himmelreich. Keine Hölle. Gar nichts. Mein Cousin war schwer enttäuscht von mir.«
»Hattest du dir irgendwelche Antworten erwartet?«
»Vielleicht. Wir waren ziemlich euphorisch.«
»Aber nichts geschah?«
»Nein.«
»Und mehr kannst du dazu nicht sagen?«
»Nein. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Bist du sicher? Verschweigst du da nicht irgendetwas?«
»Nein«, erklärte Tryggvi und setzte die Flasche ein weiteres Mal zu einem ordentlichen Schluck an.
Sie schwiegen eine Weile. Die Kunden der Cafeteria waren zahlreicher geworden. Sie setzten sich mit Tabletts oder Kaffeetassen an leere Tische, holten sich eine Zeitung vom Ständer und lasen darin, bis sie wieder ihrer Wege gingen. Hin und wieder kamen Durchsagen über den Lautsprecher.
»Und seitdem ist alles bergab gegangen«, sagte Erlendur.
»Was meinst du damit?«
»Dein Leben«, sagte Erlendur. »Du hast es nicht leicht gehabt.«
»Das hat nichts mit diesem idiotischen Experiment zu tun, falls du das andeuten willst.«
Erlendur zuckte die Achseln. »Wenn ich es richtig verstehe, kommst du schon seit etlichen Jahren hierher und sitzt hier am Fenster.«
Tryggvi schwieg und blickte durch die Scheibe, an der der Regen herabrann, in die Ferne jenseits von Keilir und Reykjanes.
»Warum sitzt du hier?«, sagte Erlendur so leise, dass seine Frage kaum zu hören war.
Tryggvi sah ihn an. »Möchtest du wissen, was ich empfunden habe?«
»Ja.«
»Frieden. Ich habe Frieden empfunden. Manchmal habe ich das Gefühl, ich hätte lieber nicht zurückkehren sollen.«
Man hörte ein Klirren, als am Tresen jemandem ein Wasserglas aus der Hand fiel und klirrend auf dem Boden zerbrach.
»Ich habe eine seltsame Ruhe gespürt, die ich nicht beschreiben kann, nicht für dich oder jemand anderen. Nicht einmal für mich selbst. Danach hat mir nichts mehr etwas bedeutet, weder andere Menschen noch die Universität oder meine Umgebung. Irgendwie hatte das Leben seine Bedeutung verloren. Ich hatte das Gefühl, keine Verbindung mehr dazu zu haben.«
Tryggvi zögerte. Erlendur hörte, wie der Regen erbarmungslos gegen die Fensterscheibe prasselte.
»Und nach diesem Frieden …«
»Ja?«, sagte Erlendur.
»Ich bin seitdem innerlich nie wieder zur Ruhe gekommen«, erklärte Tryggvi, während er beobachtete, wie sich der
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