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Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi

Titel: Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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den Fußboden sorgfältig aus. In diesem Bootsschuppen wurden diverse Dinge aufbewahrt, die zum Haus gehörten, Gartenwerkzeuge wie Spaten und eine Schubkarre; außerdem gab es dort einen Gasbehälter und einen Grill, Farbdosen und andere Dosen mit Holzschutzmittel sowie verschiedene andere Werkzeuge. Erlendur wusste nicht genau, wonach er suchte. Erst als er fast eine Viertelstunde in dem Schuppen verbracht und mit der Taschenlampe auch die hintersten Winkel ausgeleuchtet hatte, ging es ihm auf.
    Es war geschickt in einer Ecke platziert worden, und es hatte keineswegs den Anschein, als hätte das Gerät versteckt werden sollen, eher im Gegenteil. Es fiel aber auch nicht auf. Es gehörte irgendwie zum Inventar, war Teil des Sammelsuriums, aber es zog seine Aufmerksamkeit auf sich, als ihm aufging, wonach er suchte.
    Er richtete die Taschenlampe auf den Apparat, der so groß war wie ein dicker Aktenkoffer. Er sah verhältnismäßig unscheinbar aus, beschwor aber auf seltsame Weise die Beklemmungen aus der Zeit herauf, als er oben in den Bergen der Ostfjorde fast erfroren wäre.

 
    Leonóra hatte immer gesagt, dass der Unfall ihr Geheimnis wäre, niemand dürfte wissen, was tatsächlich geschehen war, weil sie dann möglicherweise auseinandergerissen würden. Am besten wäre es für sie, so wenig wie möglich über diesen schrecklichen Vorfall zu sprechen. Unfälle passierten, ohne dass man irgendjemandem die Schuld daran geben könnte. Nichts würde sich ändern, nichts würde dabei herauskommen, wenn man ganz genau erzählte, was auf dem Boot geschehen war. María hörte ihrer Mutter zu und vertraute ihr. Erst sehr viel später stellten sich die Spätfolgen dieser Lüge ein. Marías Leben wurde nie wieder das, was es zuvor gewesen war, sosehr ihre Mutter sich dies auch wünschen mochte. Sie erlangte ihre Unbekümmertheit nie wieder.
    Mit der Zeit erholte sich María von ihren Halluzinationen und Depressionen, an denen sie nach dem Tod ihres Vaters gelitten hatte. Auch ihre Ängste schwächten sich ab. Die Schuldgefühle schlummerten jedoch stets in ihr, und kaum ein Tag ihres Lebens verging, ohne dass sie an die tragischen Ereignisse auf dem See denken musste. Das konnte zu jeder Tages- und Nachtzeit der Fall sein. Sie hatte gelernt, solche Gedanken bereits im Keim zu ersticken, aber sie waren zählebig. María fühlte sich elend, weil sie nicht darüber sprechen durfte, was passiert war, weil ihr nicht die Erleichterung vergönnt war, die damit verbunden gewesen wäre, sich das alles von der Seele zu reden. Manchmal dachte sie daran, sich das Leben zu nehmen, um ihrem Elend und ihrer seelischen Not ein Ende zu machen. Nichts war schlimmer als das erdrückende Schweigen, das sie manchmal mehrmals an einem Tag anschrie.
    Sie hatte nie auf natürliche Weise um ihren Vater trauern dürfen, hatte nie Abschied von ihm nehmen können, nie die Möglichkeit gehabt, ihn zu vermissen. Das war das Schlimmste für sie, denn sie hatte ihn lieb gehabt, und er war immer gut zu seinem kleinen Mädchen gewesen. Sie hatte auch keine Erinnerungen mehr an ihn aus der Zeit vor seinem Tod. Den Luxus gestattete sie sich nicht.
    »Verzeih mir«, flüsterte Leonóra.
    María saß wie gewöhnlich neben dem Bett ihrer Mutter. Sie wussten beide, dass nur noch wenig Zeit blieb.
    »Was?«, fragte sie.
    »Das … war falsch. Alles, von Anfang an. Ich … Verzeih mir.«
    »Es ist schon in Ordnung«, sagte María.
    »Nein, es ist nicht in Ordnung. Ich habe geglaubt, dass … Ich habe an dich gedacht. Ich habe es deinetwegen getan. Du … Du musst das verstehen. Ich wollte nicht, dass … dir irgendetwas zustößt.«
    »Das weiß ich«, sagte María.
    »Aber ich … ich … ich hätte nicht über den Unfall schweigen dürfen.«
    »Du wolltest mein Bestes«, sagte María.
    »Ja … Aber es war auch egoistisch von mir.«
    »Nein«, sagte María.
    »Kannst du mir verzeihen?«
    »Mach dir doch deswegen jetzt keine Gedanken.«
    »Kannst du das?«
    María schwieg.
    »Wirst du sagen, was passiert ist, wenn ich tot bin?«
    María gab ihr keine Antwort.
    »Sprich darüber«, stöhnte Leonóra. »Tu das … für dich selbst … Sprich darüber … Rede es dir von der Seele.«

Einunddreißig
    In den folgenden beiden Tagen war Erlendur damit beschäftigt, mehr Informationen über das zu bekommen, was seiner Meinung nach an dem Abend, als María tot aufgefunden wurde, geschehen war. Er war immer noch nicht bereit, seine Theorie, wie sich alles

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