Kaeltezone
wollte mit einem Messer auf mich losgehen, weil er dachte, dass ich gekommen wäre, um Geld einzutreiben. Beide sind Dealer, und beide sind Addicts, aber die Kohle rollt nicht immer, wie sie soll. Irgendwer ist hinter ihnen her. Diesen Eddi kennst du womöglich, weil du Bulle bist. Eva wollte mir nicht sagen, wo sie ist, weil sie eine Scheißangst hat. Sie hocken da in irgendeinem Rattenloch in der Altstadt. Eddi versorgt sie mit Dope, und sie liebt ihn. Hab noch nie so eine wahre und echte Liebe gesehen! Kapierst du? Er ist ihr Dealer. Sie war dreckig, nein, sie war ekelhaft. Und weißt du, wonach sie gefragt hat?«
Erlendur schüttelte den Kopf.
»Sie hat danach gefragt, ob ich dich getroffen hätte«, sagte Sindri. »Findest du das nicht witzig? Das Einzige, was sie wissen wollte, war, ob ich dich getroffen hätte. Weißt du vielleicht, warum? Was glaubst du, warum sie ausgerechnet danach gefragt hat? Bei dem ganzen Schlamassel und der Scheiße, in der sie steckt, macht sie sich Gedanken wegen dir. Hast du eine Ahnung, warum?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Erlendur. »Mir ist schon seit langem klar, dass ich aus ihr überhaupt nicht schlau werde.« Er hätte sagen können, dass Eva und er sowohl scheußliche als auch schöne Stunden durchlebt hatten. Dass ihre Verbindung, obwohl sie schwierig und fragil und alles andere als problemlos war, trotzdem eine Verbindung war. Er dachte an Weihnachten im vergangenen Jahr, als sie wegen des Kindes, das sie verloren hatte, in einem derartigen seelischen Tief war, dass er das Schlimmste befürchtete. Sie war über Weihnachten und Neujahr bei ihm gewesen, und sie hatten über das Kind gesprochen und die Schuldgefühle, die sie quälten. Und dann verschwand sie eines Morgens im neuen Jahr.
Sindri starrte ihn an.
»Sie hat sich Sorgen gemacht, wie es dir geht. Wie es dir geht!«
Erlendur schwieg.
»Wenn du sie bloß gekannt hättest, wie sie war«, sagte Sindri. »Bevor sie in dieser Dopescheiße landete, und wenn du sie gekannt hättest wie ich, dann würdest du die Krise kriegen. Wir hatten uns längere Zeit nicht getroffen, und als ich jetzt gesehen habe, wie sie aussieht, da … ich hätte am liebsten …«
»Ich glaube, ich habe alles getan, was ich tun konnte, um ihr zu helfen«, sagte Erlendur. »Es gibt Grenzen für das, was man tun kann. Und wenn man das Gefühl hat, dass kein richtiger Wille vorhanden ist, um dagegen anzukämpfen, dann …«
Seine Worte verebbten.
»Sie war rothaarig«, sagte Sindri, »als wir klein waren. Sie hatte superschöne rote Haare, und Mama hat gemeint, das müsste aus deiner Familie kommen.«
»An die roten Haare kann ich mich erinnern«, sagte Erlendur.
»Mit zwölf Jahren hat sie sie abgeschnitten und schwarz gefärbt«, sagte Sindri, »und seitdem sind sie schwarz.«
»Warum hat sie das gemacht?«
»Ihr Verhältnis zu Mama war beschissen. Zu mir war Mama nie so wie zu Eva. Vielleicht, weil Eva die ältere war und Mama zu sehr an dich erinnert hat. Vielleicht, weil Eva immer Zoff gemacht hat. Sie war bestimmt hyperaktiv. Rothaarig und hyperaktiv. Sie hat sich mit ihren Lehrern angelegt. Mama hat sie dann in eine andere Schule gesteckt, aber da wurde es nur noch schlimmer. Sie wurde geschnitten, weil sie neu war, und sie hat alles Mögliche angestellt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und sie hat andere Kinder gemobbt, weil sie dachte, dass sie dann von der Gruppe akzeptiert würde. Mama musste zigtausend Mal wegen ihr in die Schule.«
Sindri steckte sich eine Zigarette an.
»Sie hat nie geglaubt, was Mama über dich erzählt hat. Zumindest hat sie gesagt, dass sie es nicht glaubt. Deswegen haben die beiden sich oft gefetzt, und Eva ist es immer auf geniale Weise gelungen, Mama auf die Palme zu bringen, indem sie dich benutzte. Sie hat erklärt, dass sie es mehr als gut verstünde, dass du sie verlassen hast, weil man mit ihr einfach nicht zusammenleben könnte. Sie hat dich verteidigt.«
Sindri hielt die Zigarette in der Hand und schaute sich suchend um. Erlendur deutete auf den Aschenbecher auf dem Wohnzimmertisch. Sindri tat einen letzten Zug und setzte sich dann an den Tisch. Er hatte sich etwas beruhigt, und die Spannung zwischen ihnen nahm ab. Er erzählte Erlendur, wie Eva sich Geschichten über ihren Vater ausgedacht hatte, als sie in das Alter kam, wo sie etwas über ihren Vater wissen wollte.
Beide spürten sie die Hassgefühle ihrer Mutter Erlendur gegenüber, und Eva glaubte keineswegs alles, was sie
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