Kaeltezone
diesem See ist?«, erkundigte sich Frau Dr. Müller.
»Dazu können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts sagen«, entgegnete Sigurður Óli. Sie hatten der deutschen Botschaft keine näheren Einzelheiten in Bezug auf den Skelettfund mitgeteilt. Er schaute zu Erlendur hinüber und erhielt ein zustimmendes Kopfnicken.
»Das Skelett, das gefunden wurde, war mit einem Strick an ein russisches Abhörgerät angebunden«, sagte Sigurður Óli.
»Ich verstehe«, sagte die deutsche Botschafterin nachdenklich. »Ein russisches Gerät? Was für Schlüsse ziehen Sie daraus?«
»Da gibt es diverse Optionen«, sagte Sigurður Óli.
»Könnte das Gerät aus der ostdeutschen Botschaft stammen? Oder dieser Handelsvertretung oder wie auch immer so etwas genannt wird«, warf Erlendur ein.
»Selbstverständlich kann das der Fall gewesen sein«, erwiderte Dr. Müller. »Die Staaten des Warschauer Paktes haben überaus eng zusammengearbeitet, nicht zuletzt, wenn es um Spionage ging.«
»Im Zuge der Wiedervereinigung«, sagte Erlendur, »ich meine, als die beiden Botschaften hier zusammengelegt wurden, haben Sie da Geräte dieser Art bei den anderen gefunden?«
»Wir wurden nicht zusammengelegt«, erklärte Frau Dr. Müller. »Die DDR-Vertretung wurde aufgelöst, ohne dass wir etwas damit zu tun hatten. Aber ich werde der Sache mit diesen Apparaten nachgehen.«
»Was meinen Sie, bedeutet es, dass ein russisches Abhörgerät bei dem Skelett gefunden wurde?«, fragte Sigurður Óli. »Dazu kann ich absolut nichts sagen«, antwortete Frau Dr. Müller. »Es fällt nicht in meinen Aufgabenbereich, darüber Spekulationen anzustellen.«
»Genau«, sagte Sigurður Óli. »Aber wir haben sowieso nichts anderes als Spekulationen an der Hand, und deswegen …«
Weder Erlendur noch Frau Dr. Müller gingen auf ihn ein, und das Gespräch geriet ins Stocken. Erlendur griff unwillkürlich in die Tasche seines Jacketts und tastete nach der Zigarettenschachtel. Er getraute sich nicht, sie aus der Tasche zu ziehen.
»Und was haben Sie verbrochen?«, fragte er.
»Verbrochen? Ich?«, erwiderte Frau Dr. Müller.
»Wieso wurden Sie in dieses grauenvolle Land am Arsch der Welt versetzt?«
Dr. Elisabeth Müller lächelte, aber ihr Lächeln kam Erlendur nicht ganz geheuer vor.
»Sind Sie der Meinung, dass eine solche Frage angebracht ist? Sie sprechen mit der Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland.«
Erlendur zuckte die Achseln.
»Entschuldigen Sie, aber Sie haben selber gesagt, dass der Botschafterposten hier eine Art Strafversetzung bedeutet. Es geht mich natürlich gar nichts an.«
Verlegenes Schweigen machte sich im Büro der Botschafterin breit, bis Sigurður Óli eingriff und sich räusperte, um sich dann für die Hilfe zu bedanken. Frau Dr. Müller erklärte kühl, dass sie sich mit ihnen in Verbindung setzen würde, falls es in Bezug auf Lothar Weiser neue Erkenntnisse gäbe, die ihnen von Nutzen sein konnten. Es war ihr anzuhören, dass sie nicht unverzüglich zum Telefon greifen würde.
Als sie die Botschaft verließen, unterhielten sie sich über die Möglichkeit, dass isländische Studenten in Leipzig studiert hatten, die dort möglicherweise mit Lothar Weiser in Berührung gekommen waren. Sigurður Óli wollte dem nachgehen.
»Bist du nicht reichlich unverschämt ihr gegenüber gewesen?«, fragte er.
»Mann, es geht mir auf den Geist, dieses Gerede, dass Island am Arsch der Welt liegt«, erklärte Erlendur und zündete sich die lang ersehnte Zigarette an.
Vierundzwanzig
Als Erlendur abends nach Hause kam, wartete Sindri Snær in der Wohnung auf ihn. Er lag schlafend auf dem Sofa im Wohnzimmer, wachte aber auf, als Erlendur zur Tür hereinkam, und richtete sich auf.
»Und wo bist du gewesen?«, fragte Erlendur.
»Irgendwo«, sagte Sindri Snær.
»Hast du schon gegessen?«
»Nee, aber das ist okay.«
Erlendur holte Roggenbrot, Lammpastete und Butter aus dem Kühlschrank und setzte Kaffee auf. Sindri behauptete zwar, keinen Hunger zu haben, aber Erlendur beobachtete, wie er dann doch ordentlich zulangte. Auch der Käse, den er auf den Tisch stellte, war im Handumdrehen weg.
»Weißt du etwas über Eva Lind?«, fragte Erlendur, als Sindri den gröbsten Hunger gestillt hatte und sie zusammen Kaffee tranken.
»Ja«, erwiderte Sindri, »ich habe sie getroffen.«
»Ist sie in Ordnung?«, fragte Erlendur.
»In gewisser Weise schon«, sagte Sindri, zog eine Zigarettenschachtel und ein billiges Feuerzeug aus der Tasche
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