Kaeltezone
gehabt hätten.«
»Weiser nahm anschließend seine Tätigkeit im diplomatischen Dienst der DDR auf. Da war er nicht mehr bei der Stasi. Er ist in der ganzen Welt herumgekommen und hat bei den DDR-Vertretungen in allen möglichen Ländern gearbeitet. Unter anderem auch hier in Island. Er hatte aus irgendwelchen Gründen ein ganz besonderes Interesse an Island, das kann man schon daran ablesen, dass er in jungen Jahren Isländisch gelernt hat. Er war wohl so etwas wie ein Sprachgenie. Hier genau wie andernorts hatte er die Aufgabe, einheimische Informanten zu rekrutieren. Das war vergleichbar mit dem, was er früher in Leipzig gemacht hatte. Falls es an ideologischer Begeisterung mangelte, was nicht allzu selten der Fall war, konnte er Geld bieten.«
»Gab es Isländer, die für ihn gearbeitet haben?«, fragte Sigurður Óli.
»Es muss nicht sein, dass er hier in Island Erfolg gehabt hat«, sagte Frau Dr. Müller.
»Von den Mitarbeitern in dieser DDR-Vertretung damals«, warf Erlendur ein, »ist von denen noch jemand am Leben?« »Uns liegen Personallisten aus dieser Zeit vor, aber wir haben niemanden ausfindig machen können, der noch am Leben ist und Herrn Weiser gekannt haben könnte oder wüsste, was aus ihm geworden ist. Eins steht aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Sicherheit fest: dass seine Laufbahn hier in Island zu enden scheint, aber wie – das wissen wir nicht. Es hat den Anschein, als hätte er sich ganz einfach in Luft aufgelöst. Allerdings sind diese alten Geheimdienstprotokolle nicht immer verlässlich. Da gibt es enorme Lücken, genau wie in den Stasidokumenten. Als sie nach der Wiedervereinigung Deutschlands öffentlich zugänglich gemacht wurden, ging ein Großteil davon verloren, vor allem die Unterlagen über die Bespitzelungen im eigenen Land. Der Staatssicherheitsdienst wurde selbstverständlich aufgelöst. Um ehrlich zu sein, wir haben keinerlei Informationen über Lothar Weisers Schicksal, aber wir werden weiter am Ball bleiben.«
Für eine Weile trat Schweigen ein. Sigurður Óli nahm sich etwas von dem Gebäck. Erlendur verlangte es noch dringlicher nach einer Zigarette. Er sah aber nirgendwo einen Aschenbecher. Wahrscheinlich war das die Methode, um zu verhindern, dass Besucher sich eine anzuzündeten.
»Bei der ganzen Sache ist aber eines bemerkenswert«, fuhr Frau Dr. Müller fort, »nämlich dass es hier um Leipzig geht. Die Einwohner von Leipzig sind stolz darauf, dass im Grunde genommen von dort der Widerstand ausging, der letztendlich dazu führte, dass Honecker zurücktrat und die Mauer fiel. In Leipzig war der Protest am stärksten, und im Zentrum stand dabei die Nikolaikirche. Dort kamen die Menschen zusammen, sie beteten und protestierten stumm, und eines Abends verließen sie die Kirche und drangen in die Stasizentrale ein, die ganz in der Nähe lag. In Leipzig – und wahrscheinlich nicht nur dort – sieht man es so, dass es hier war, wo die Entwicklung einsetzte, die mit dem Fall der Mauer endete.«
»Genau«, sagte Erlendur.
»Komisch, dass so ein deutscher Agent hierzulande spurlos verschwindet«, sagte Sigurður Óli. »Das ist irgendwie …« »Absurd?«, sagte Frau Dr. Müller und lächelte. »Es war in gewissem Sinne nicht unpraktisch für denjenigen, der ihn liquidiert hat, falls er denn liquidiert wurde, dass Weiser ein Agent war. Das wiederum kann man an den Reaktionen der damaligen Handelsvertretung der DDR ablesen, es gab damals keine Botschaft im eigentlichen Sinne. Sie haben gar nichts in der Sache unternommen. Eine derartige Reaktion ist typisch, wenn ein diplomatischer Skandal unter den Teppich gekehrt werden soll. Niemand sagt was. Man könnte glauben, es hätte nie einen Lothar Weiser gegeben. Aus unseren Unterlagen geht nicht hervor, dass seinetwegen jemals eine Untersuchung in die Wege geleitet worden wäre.«
Ihr Blick wanderte von Sigurður Óli zu Erlendur.
»Der isländischen Polizei wurde sein Verschwinden nicht gemeldet«, sagte Erlendur. »Wir sind dem nachgegangen.« »Deutet das nicht darauf hin, dass die Sache intern geregelt wurde?«, fragte Sigurður Óli. »Dass er von einem Kollegen umgebracht wurde?«
»Das könnte sein«, gab Frau Dr. Müller zu. »Aber wir wissen sehr wenig über Lothar Weiser und sein Schicksal.«
»Der Mörder ist womöglich auch bereits unter der Erde«, sagte Sigurður Óli. »Das ist doch alles eine Ewigkeit her. Falls dieser Weiser tatsächlich ermordet wurde.«
»Glauben Sie, dass er der Mann aus
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