Kaeltezone
wäre, eine Therapie zu machen.«
»Sie hat sich nie einer Therapie unterziehen wollen. Sigur- ður Óli hat mir diesen Gefallen getan und keine Anzeige erstattet.«
Eddi. Er war ein Dealer, der im Zusammenhang mit einem Drogenfall gesucht wurde, und Sigurður Óli, zusammen mit zwei anderen Kriminalbeamten, hatte ihn in seiner Bude in der Nähe von Hlemmur ausfindig gemacht, nicht weit vom Hauptdezernat. Ein Bekannter von Eddi hatte der Polizei einen Tipp gegeben. Widerstand wurde ihnen nur von Eva Lind entgegengebracht. Sie war völlig ausgeklinkt. Eddi lag halbnackt auf dem Sofa und rührte sich nicht. Ein anderes Mädchen, jünger als Eva Lind, lag ganz nackt neben ihm. Eva war außer sich vor Wut, als sie die Kriminalpolizisten sah. Sie kannte Sigurður Óli, weil er mit ihrem Vater zusammenarbeitete. Sie schnappte sich einen Hammer, der auf dem Boden lag, und ging mit ihm auf Sigurður Óli los, den sie mit einem Schlag an den Kopf zu Boden strecken wollte. Sie traf ihn aber nur an der Schulter, und das Schlüsselbein brach. Sigurður Óli ging in die Knie, weil der Schmerz unerträglich war. Als sie zu einem weiteren Schlag ausholte, sprangen die beiden anderen Polizisten hinzu und konnten Eva überwältigen.
Sigurður Óli sprach nie darüber, aber von den beiden anderen Beamten erfuhr Erlendur, dass er einen Moment gezögert hatte, als er sah, dass Eva Lind auf ihn losging. Er zögerte, Erlendurs Tochter etwas anzutun. Deswegen hatte sie überhaupt zum Schlag ausholen können.
»Ich habe gedacht, sie würde sich am Riemen reißen, nachdem sie das Kind verloren hat«, sagte Erlendur. »Aber sie benimmt sich schlimmer als je zuvor. Jetzt hat es ganz den Anschein, als ob ihr überhaupt nichts mehr wichtig wäre.« »Ich würde sie gern besuchen«, sagte Sindri, »aber Besuche sind nicht gestattet.«
»Ich kann mit den Leuten reden.«
Das Telefon klingelte, und Erlendur streckte seine Hand danach aus.
»Erlendur?«, sagte eine kraftlose Stimme, die Erlendur sofort erkannte.
»Marian?«
»Was habt ihr da im Kleifarvatn gefunden?«, fragte Marian Briem.
»Knochen«, sagte Erlendur. »Nichts, worüber du dir den Kopf zu zerbrechen brauchst.«
»Ach so.« Marian Briem war pensioniert, tat sich aber schwer damit, sich von Erlendur und all den interessanten Fällen, in denen er ermittelte, fern zu halten.
Langes Schweigen.
»Ist was Besonderes?«, fragte Erlendur schließlich.
»Vielleicht solltest du dich ein bisschen intensiver mit dem See befassen«, sagte Marian. »Aber ich will dich nicht stören. Käme mir nicht in den Sinn. Ich will doch einen ehemaligen Kollegen nicht stören, der so beschäftigt ist.«
»Was ist mit Kleifarvatn?«, fragte Erlendur. »Was meinst du damit?«
»Nein, nein, mach’s gut«, sagte Marian und hängte auf.
Sieben
Manchmal, wenn er zurückdachte, spürte er noch den Geruch im Hauptquartier am Dittrichring, den beißenden Geruch von dreckigem Linoleum, Schweiß und Angst. Er erinnerte sich auch an den säuerlichen Gestank der Braunkohle, der über der Stadt lag, sodass man manchmal die Sonne kaum sah.
Leipzig war keineswegs so, wie er es sich vorgestellt hatte. Bevor er ins Ausland ging, hatte er sich informiert und wusste, dass die Stadt am Zusammenfluss von Elster, Parthe und Pleiße lag und dass sie immer schon ein Zentrum des Verlagswesens und des Buchhandels in Deutschland war. Bach war in Leipzig begraben, und Auerbachs berühmter Keller, den Goethe im Faust verewigte, befand sich dort. Jón Leifs hatte einige Jahre in der Stadt gelebt und Musik studiert. Er hatte sich eine alte deutsche Kulturstadt vorgestellt und fand eine triste und düstere Stadt der Nachkriegsjahre vor. Die Alliierten hatten Leipzig eingenommen, aber es später den Russen überlassen. Immer noch sah man an den Gebäuden die Einschusslöcher aus dem Krieg, und überall waren eingestürzte und verfallende Häuser, Kriegsruinen.
Der Zug kam in aller Herrgottsfrühe in der Stadt an. Er konnte seinen Koffer in der Gepäckaufbewahrung lassen und schlenderte durch die Straßen, bis die Stadt zum Leben erwachte. Der Strom war rationiert, und die Altstadt lag im Dunkeln, aber er war froh, in Leipzig angekommen zu sein. Es war irgendwie abenteuerlich, ganz allein so weit weg von zu Hause zu sein. Er wanderte von der Nikolaikirche zur Thomaskirche, setzte sich ihr gegenüber auf eine Bank und dachte an das, was er über Halldór Laxness und Jóhann Jónsson gelesen hatte, die hier vor so vielen
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