Kaeltezone
Anlass, das nicht zu tun.«
»Wenn das wirklich stimmt mit Lothar«, sagte er, »warum unternehmt ihr denn nicht etwas?«
»Wir können nur eins tun, nämlich ihm aus dem Weg gehen, was nicht ganz einfach ist, denn er ist darin geschult, sich mit jedermann freundlich zu stellen«, antwortete ein anderer Mann aus der Gruppe. »Wenn er aufdringlich wird, können wir versuchen, ihn in die Irre zu führen. Die meisten Leute wissen nicht, woran sie mit ihm sind. Er sagt immer genau das, was man hören will, er stimmt sogar anderen Ansichten zu. Aber er ist falsch. Und er ist gefährlich.«
»Aber halt mal«, sagte er und schaute Ilona an. »Wenn ihr das alles über Lothar wisst, muss Hannes es doch auch gewusst haben.«
»Ja, Hannes hat es gewusst«, sagte Ilona.
»Warum hat er dann nie einen Ton gesagt? Warum hat er mich nicht vor ihm gewarnt? Warum hat er nie etwas gesagt?«
Ilona trat zu ihm hin.
»Er hat dir nicht vertraut«, sagte sie. »Er wusste nicht, woran er mit dir war.«
»Er hat gesagt, ich soll ihn in Ruhe lassen.«
»Er wollte in Ruhe gelassen werden. Er wollte niemanden bespitzeln, und schon gar nicht seine eigenen Landsleute.«
»Er hat hinter mir hergerufen, als ich ihn verließ. Er wollte mir noch etwas sagen, aber er … Ich war wütend. Ich bin rausgerannt, direkt in die Arme von Lothar.«
Er sah Ilona an.
»Das war dann wohl kein Zufall?«
»Das bezweifle ich stark«, sagte Ilona. »Aber früher oder später wäre es sowieso dazu gekommen. Hannes wurde observiert.«
»Sind da an der Universität noch mehr solche Leute wie Lothar?«
»Ja«, sagte Ilona. »Wir kennen aber nicht alle, wir wissen nur von einigen.«
»Lothar ist dein Betreuer«, sagte ein junger Mann, der in einem Sessel saß und bislang das Ganze schweigend mitverfolgt hatte.
»Ja.«
»Was meinst du damit?«, fragte Ilona den Mann.
»Die Betreuer haben die Aufgabe, die Ausländer zu überwachen«, sagte der Mann und stand auf. »Sie müssen alles über die Ausländer melden. Wir wissen, dass Lothar dich auch zur Mitarbeit überreden soll.«
»Sag das, was du sagen möchtest«, erklärte Ilona und ging einen Schritt auf den Mann zu.
»Wie können wir wissen, dass wir deinem Freund vertrauen können?«
»Ich vertraue ihm«, sagte Ilona. »Das reicht.«
»Woher wisst ihr, dass Lothar gefährlich ist?«, fragte er. »Wer hat euch das gesagt?«
»Das ist unsere Sache«, entgegnete der Mann.
»Er hat natürlich Recht«, sagte er und sah zu dem Mann hinüber, der bezweifelte, ob man ihm trauen könne. »Warum solltet ihr mir vertrauen?«
»Wir vertrauen Ilona«, war die Antwort.
Ilona lächelte verlegen.
»Hannes war der Meinung, dass du dich schon mausern würdest«, sagte sie.
Er schaute auf das vergilbte Papier und las noch einmal den alten Brief von Hannes. Der Abend brach bald an, und das alte Ehepaar würde an seinem Haus vorbeigehen. Er dachte an jenen Abend in der Kellerwohnung in Leipzig, und wie sein Leben von da an einen ganz anderen Verlauf genommen hatte. Er dachte an Ilona, an Hannes und an Lothar. Und er sah im Geiste die angsterfüllten Gesichter dieser Menschen im Keller vor sich.
Es waren die Kinder dieser Menschen, die die Nikolaikirche zu ihrer Festung machten und auf die Straßen von Leipzig strömten, als Jahrzehnte später der Volkszorn überkochte.
Achtzehn
Valgerður begleitete Erlendur nicht zu der Grillparty bei Sigurður Óli, und niemand erwähnte ihren Namen. Elínborg hatte köstliche Lammfilets in einer speziellen Kräutermarinade mit geriebener Zitronenschale vorbereitet. Als Vorspeise gab es einen Krabbencocktail, den Bergþóra beigesteuert hatte und der von Elínborg sehr gelobt wurde. Zum Nachtisch gab es wiederum eine Mousse von Elínborg. Erlendur war sich nicht sicher, was darin war, aber es schmeckte vorzüglich. Eigentlich hatte er nicht zu der Party gehen wollen, ließ sich aber breitschlagen, als Sigurður Óli und Bergþóra ihn noch einmal heftig bekniet hatten. Auf jeden Fall war es nicht so schlimm wie auf Elínborgs Kochbuch-Release-Party. Bergþóra freute sich so über sein Kommen, dass sie ihm gestattete, im Wohnzimmer zu rauchen. Sigurður Óli starrte sie völlig entgeistert an, als sie einen Aschenbecher für ihn holte. Erlendur blickte zu ihm hinüber und grinste. Er hatte das Gefühl, ein nettes kleines Trostpflästerchen bekommen zu haben. Über die Arbeit sprachen sie nur einmal, als Sigurður Óli Überlegungen anstellte, weshalb das russische Gerät
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