Kaeltezone
entschuldigten sich, der Botschaft solche Umstände gemacht zu haben, worauf sie ihnen versicherte, dass es eine Selbstverständlichkeit sei, die isländischen Behörden zu unterstützen.
Die Anfrage in Bezug auf Lothar Weiser sei auf dem Dienstweg weitergeleitet worden, erklärte Elisabeth Müller ihnen, oder vielmehr Sigurður Óli, denn sie richtete das Wort nahezu ausschließlich an ihn. Es wurde Englisch gesprochen. Sie bestätigte, dass ein Mann dieses Namens in den sechziger Jahren in der Handelsmission der ehemaligen DDR tätig gewesen war. Es sei außerordentlich schwierig gewesen, an Informationen über ihn heranzukommen, da er zu jener Zeit dem Staatssicherheitsdienst in der DDR angehörte, der engste Verbindungen zum sowjetischen Geheimdienst gehabt habe. Sie teilte ihnen mit, dass ein bedeutender Teil der diesbezüglichen Akten nach dem Fall der Mauer zerstört worden sei und dass die wenigen Informationen, die ihnen zur Verfügung standen, größtenteils vom Bundesnachrichtendienst stammten.
»Er ist 1968 in Island spurlos verschwunden«, sagte Frau Dr. Müller. »Niemand weiß, was aus ihm geworden ist. Seinerzeit vermutete man, dass er höchstwahrscheinlich irgendeinen fatalen Fehler begangen hat und …«
Frau Dr. Müller verstummte und zuckte die Achseln.
»… abgemurkst worden ist«, beendete Erlendur den Satz. »Das ist vielleicht eine Möglichkeit, aber dafür haben wir bislang noch keinen Beweis. Ebenso gut könnte es sein, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat und die Leiche mit dem diplomatischen Kurier entsorgt worden ist.«
Sie schenkte Sigurður Óli ein Lächeln, als wolle sie sagen, dass dies ihre Art von Humor sei.
»Ich weiß, dass es für Sie vermutlich komisch und absurd klingt«, fuhr sie fort, »aber für Angehörige des diplomatischen Korps liegt Island am Ende der Welt. Das Wetter ist der reinste Horror. Ewig dieser Sturm und dann die Dunkelheit und die Kälte. Im diplomatischen Dienst kommt es praktisch einer Strafversetzung gleich, wenn man nach Reykjavík geschickt wird.«
»Wurde dieser Mann also wegen irgendetwas strafversetzt, als man ihn nach Island schickte?«, erkundigte sich Sigur- ður Óli.
»Soweit uns bekannt ist, hat er für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet, und er lebte in jüngeren Jahren lange in Leipzig.« Sie blätterte die Papiere durch, die vor ihr auf dem Tisch lagen. »In den Jahren zwischen 1953 und 1957, vielleicht sogar bis 1958, hatte er den Auftrag, die ausländischen Studierenden an der Universität Leipzig, von denen die meisten, wenn nicht alle, Kommunisten waren und ein Stipendium erhielten, dazu zu bringen, für ihn zu arbeiten und andere zu denunzieren. Es ging letzten Endes nicht um Spionage, sondern eher darum, die ausländischen Studenten zu observieren.«
»Denunzieren?«, fragte Sigurður Óli.
»Ja, ich weiß nicht, wie Sie das nennen wollen«, sagte Frau Dr. Müller. »Seine Mitmenschen zu bespitzeln. Lothar Weiser stand in dem Ruf, besonders geschickt darin zu sein, junge Leute auf seine Seite zu ziehen. Er hatte einiges anzubieten, Geld beispielsweise oder gute Noten. Zu dieser Zeit war die Lage vor allem wegen der Entwicklungen in Ungarn sehr angespannt. Die jungen Menschen verfolgten durchaus mit, was dort vor sich ging, und die Stasi wiederum hatte die jungen Leute im Visier. Weiser schlich sich bei ihnen ein, und nicht nur er, sondern viele andere ebenfalls. Leute wie Weiser gab es an allen Universitäten der DDR – und generell in den kommunistischen Ländern. Es ging darum, die Menschen zu überwachen, um genau zu wissen, was sie dachten. Der Einfluss von Ausländern konnte gefährlich sein, auch wenn die meisten wahrscheinlich sowohl das Studium als auch den Sozialismus ernst genommen haben.«
Erlendur warf ins Gespräch, dass Lothar Weiser ausgezeichnet Isländisch gesprochen habe.
»Gab es damals isländische Studenten in Leipzig?«, fragte er.
»Darüber habe ich leider keine Informationen«, entgegnete Frau Dr. Müller. »Das müssten Sie aber selbst herausbekommen können.«
»Aber was wurde später aus Lothar Weiser, nachdem er Leipzig verlassen hatte?«, fragte Sigurður Óli.
»Ihnen wird das alles sehr abwegig vorkommen«, entgegnete sie. »Geheimdienst und Spionage. Sie kennen so etwas hier auf Ihrem Eiland im Nordatlantik vermutlich nur vom Hörensagen.«
»Vermutlich«, erwiderte Erlendur lächelnd. »Ich kann mich nicht erinnern, dass wir hier einen einzigen richtigen Spion
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