Käptn Snieders groß in Fahrt
geht’s denn?“
„Wir waren gerade bei Heini Brackwede und haben ihm von unserem ersten Unterrichtstag bei Ihnen erzählt. Die Sache mit dem Seeungeheuer hat ihn mächtig interessiert. Am liebsten würde er morgen auch in die Schule kommen, aber das geht ja leider nicht, weil er den ganzen Tag im Bett liegen muß.“
„Tja, der arme Kerl!“ sagte Käpten Snieders. „Ich werde seinen Liegeplatz demnächst einmal anlaufen.“
„Deshalb sind wir eigentlich hier“, nahm Ludwig Reiners jetzt das Wort.
„Weshalb?“
„Sie zu bitten, ihn zu besuchen. Er würde sich riesig freuen.“
„Jaja, das tu’ ich, das könnt ihr ihm bestellen, ganz bestimmt!“ Die beiden Jungen drucksten herum. Schließlich raffte sich Kluten Neumann auf und sagte: „Er ist nachmittags immer ganz allein. Seine Mutter arbeitet doch in Spätschicht auf der Wollkämmerei, und sein Vater kommt erst gegen halb sieben aus dem Berner Postamt. Er liegt immer nur im Bett und langweilt sich furchtbar. Wir gehen ja manchmal hin und sprechen mit ihm. Aber weil wir uns schon alle Witze erzählt und alle Unterhaltungsspiele hundertmal gespielt haben, wird’s immer langweiliger, auch für ihn.“
„Das ist wirklich schlimm“, sagte Käpten Snieders, „wie kann man ihm bloß helfen?“
„Können Sie ihn nicht heute schon besuchen?“ fragte Ludwig Reiners. „Das würde ihn ganz rammdösig machen vor Glück.“
„Heute schon? Tja, warum eigentlich nicht?“ brummte Käpten
Snieders. „Wenn es ihm Spaß macht, mit so einem alten Seebären zu sprechen! Meinetwegen gehen wir gleich los. Kommt ihr mit?“
„Klar, Käpten“, riefen beide erfreut und sprangen von der Bank auf.
Gemeinsam gingen sie über die Kommandobrücke in die Dachstube des kleinen Strohdachhauses, die Käpten Snieders’ Wohn-, Schlaf- und Studierzimmer in einem war. Die Jungen sahen sich neugierig um.
An einer Wand war hinter einer Gardine aus Fischernetzen ein breites Bett zu sehen mit blau-weiß karierten Bezügen. Daneben stand auf einer dunklen Anrichte aus Mahagoni das Modell eines großen Segelschiffes mit vier Masten. Der runde Tisch, ebenfalls aus dunklem Holz, hatte nur ein Bein, aber dafür auf der Platte mehrere schwarze Brandstellen, an denen sicherlich die Pfeife des Kapitäns schuld war. Ein finster wirkender Kleiderschrank mit Dackelbeinen und aufgeleimten Zieraten nahm fast die ganze Gegenseite ein. Auf einer Wandkonsole zählte eine große Sanduhr unaufhörlich die Zeit und teilte sie ein in lauter Glasen. Allerdings ging sie nie ganz genau, weil Minna, die eigenwillige Dohle, sie oft umdrehte, bevor der ganze Sand des oberen Glases in das untere gerieselt war. Aus diesem Grunde wohl auch hing ein alter Regulator gleich daneben, ließ sein Pendel leise tickend schwingen und verriet allen, die es wissen wollten, wie spät es wirklich war. Eine schwere Seekiste, mit Eisen beschlagen und bis in alle Ewigkeit haltbar gezimmert, füllte die Ecke zwischen Schrank und Sofa aus. An der Decke baumelte eine Lampe mit weißem Porzellanschirm, von dem Perlenfransen herabhingen. Das Zimmer wirkte trotz seiner Düsterkeit einladend und heimelig.
Käpten Snieders schloß hinter den beiden Jungen die Tür ab, durch die sie von der Kommandobrücke hereingekommen waren, und auch die, durch die sie jetzt das Zimmer wieder verließen. Vorsichtig tasteten sie sich die in stetem Dämmerlicht liegende Treppe hinunter.
„Fallt man bloß nicht“, warnte der Alte, „das ist alles ein bißchen duster bei mir.“
Heini Brackwede wohnte fast am Ende des langen Reihendorfes, da, wo die Straße sich vom Deich abwandte und landeinwärts verlief. Er lag bei geöffnetem Fenster in einem großen Bett, zu dem ihm sein Vater in Berne eine schräge Stütze für den Rücken hatte machen lassen, so daß er fast saß und dabei aus dem Fenster auf die Straße blicken konnte.
Er sah die drei sofort, und seine Augen leuchteten, als Käpten Snieders sein faltiges Gesicht durch das Fenster streckte und sagte: „Mensch, Heini, da bist du ja. Wenn du gestattest, komm’ ich auf einen Sprung zu dir ’rein.“
Heini nickte dankbar.
Einen Augenblick später saß der Besuch in seinem Zimmer, Käpten Snieders in einem tiefen Sessel, die Jungen auf Stühlen und Minna, die natürlich auch mitgekommen war, auf dem Bettrand zu Heinis Füßen.
„Vielen Dank, daß Sie gekommen sind“, sagte Heini leise. „Oh, das ist doch selbstverständlich“, wehrte der Alte ab. „Warum soll der Lehrer
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