Käptn Snieders groß in Fahrt
nachkamen. Im Nu füllte sich eine Seite, im Nu die zweite. Selbst Susi Hartung, die bestimmt nicht zu den Fleißigsten gehörte, saß mit glühenden Wangen über ihr Heft geneigt und fegte mit dem Füller über das Papier, als gälte es, einen ganzen Roman zu schreiben. Woran mochte das liegen?
Vor einer guten Stunde hatten sie noch dagesessen und hilflos auf die leeren Seiten gestarrt, und nicht mal der Anfang war ihnen eingefallen! Und jetzt dieser Schwung, dieser nicht zu bremsende Gedankenreichtum. Was war denn in der Zwischenzeit anders geworden? Es waren doch noch dieselben Kinder, oder?
Ja und nein!
Sie waren insofern noch dieselben, als sie weder ihre Nasen noch ihre Ohren oder Gliedmaßen ausgetauscht hatten, aber innerlich waren sie anders geworden. Sie hatten dem besten Geschichtenerzähler der ganzen Wesermarsch zugehört, und das hatte sie verändert. Ihre Vorstellungskraft war gefüttert worden mit einer Kost, die ihnen der etwas trockene Herr Heinecke nicht hatte vorsetzen können.
Käpten Snieders, der von seinem großen Erzähltalent nichts wußte, glaubte, die Kinder hätten das Aufsatzschreiben bei seinem Vorgänger gelernt, und wunderte sich überhaupt nicht über die wie rasend schreibenden Kinder. Er staunte nur über ihre Geschicklichkeit in der Handhabung des Federhalters.
Rudi Turka, der einzige Junge der ersten Klasse, malte währenddessen ein so gräßliches Seeungeheuer auf seinen Zeichenbogen, daß Hinnerk Beiderbeck, sein Nachbar, nicht hinzuschauen wagte. Kurz vor zwölf Uhr mittags gaben die ersten ihre Aufsätze ab, glücklich und erschöpft. Käpten Snieders erlaubte ihnen, nach Hause zu gehen, nachdem er ihnen aufgegeben hatte, als Hausarbeit allen Leuten, die sie kannten, die Sache mit dem Seeungeheuer zu erzählen, damit auch die endlich lernten, wodurch die Gezeiten entstehen.
Nach und nach wurden auch die andern fertig, und um halb eins verließ Marichen Buttjer als letzte die Klasse.
Da nahm der Kapitän die Aufsätze an sich, um zu Hause unter den besten eine Eins und unter den schlechtesten eine Sechs zu schreiben, wie der Bürgermeister es ihm gesagt hatte.
Als er die Tür zum Flur öffnete, stieß er fast mit Frau Besenhoff zusammen, die soeben in die Klasse wollte, um auszufegen und Staub zu wischen.
„Dreikantiger Klabautermann, bist du immer noch hier?“ fragte er verdutzt.
„Nicht immer noch, sondern schon wieder!“ gab sie zur Antwort, rümpfte die Nase und drückte sich an ihm vorbei. Sie hatte den Rausschmiß am Vormittag noch nicht vergessen. Gerade wollte sie mit dem Besen die Tür hinter sich zuhakeln, da entdeckte sie die Veränderungen in der Klasse, sah, daß die Bänke an die Seite geschoben waren und in der Mitte einen großen Platz frei-gaben.
„Wer spielt hier denn verrückt?“ rief sie empört und stemmte die Arme in die Hüften.
Käpten Snieders wandte sich um.
„Hör zu, Mudder Besenhoff“, sagte er, „die Bänke bleiben so stehen, merk dir das! Daß du mir ja nichts verschiebst, sonst kannst du was erleben!“
„Warum denn gleich so grantig!“ gab die Putzfrau zurück. „Ich darf mich doch wohl noch wundern, wenn so ’n oller Kerl wie du neue Moden einführt?“
„Wundern darfst du dich, soviel du willst, aber gefälligst leise, du Putzlappenjongleuse“, brummte Käpten Snieders und stampfte los, mit voller Kraft voraus.
Minna saß ausgeruht auf seiner Schulter.
Lisabeth Bröders, seine Köchin, servierte ihm ein großes Kotelett mit Petersilienkartoffeln, als Einstand in den neuen Beruf, wie sie sagte. Sie wußte, daß er das am liebsten aß.
„Lisabeth“, brummte der Alte, „du glaubst gar nicht, wie das Unterrichten hungrig macht. Und dabei dachte ich immer, so ’n Schulmeister, der braucht nicht viel, weil er nicht viel arbeitet. Aber das ist ganz anders. Als Außenstehender macht man sich davon ein ganz falsches Bild. Jetzt, wo ich ein bißchen Schulluft geschnuppert habe, merke ich, daß geistige Arbeit auch den ganzen Mann braucht.“
Nach dem Essen legte sich der alte neue Lehrer auf die Couch und schlief eine Stunde. Lisabeth wusch das Geschirr ab und unterhielt sich dabei mit Minna, die auf ihrer Schulter saß. Um halb vier kochte sie eine Kanne schwarzen Tee für den Kapitän und weckte ihn. Darauf ging sie in ihre eigene Wohnung hinüber, drei Häuser die Straße hinauf, und kochte auch dort eine Kanne Tee, für sich und ihre Tochter Meta, die gleich aus der Fabrik kommen mußte.
Käpten Snieders
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