Kafka am Strand
dauerte eine Weile, bis er das System verstand, nach dem das Restaurant funktionierte, denn er konnte ja nicht lesen. Bevor man hineinging, musste man einen Bon kaufen. Den Bon wiederum bekam man an einem Automaten, und Nakata musste jemanden um Hilfe bitten. »Ich kann nicht so gut sehen«, sagte er, und eine Dame mittleren Alters warf das Geld für ihn ein, drückte die Knöpfe und reichte ihm das Wechselgeld. Aus Erfahrung hatte Nakata gelernt, sein Analphabetentum möglichst für sich behalten, denn es war schon passiert, dass Leute ihn wie ein Gespenst angesehen hatten.
Danach hängte Nakata sich seinen Stoffbeutel über die Schulter, hielt seinen Schirm fest und sprach ein paar Männer an, die wie Lastwagenfahrer aussahen. Er sei auf dem Weg nach Westen, sagte er und fragte, ob er vielleicht mit ihnen fahren könne. Die Männer sahen ihm ins Gesicht, musterten seine Gestalt und schüttelten dann die Köpfe. Ältere Anhalter waren eine große Ausnahme, und Ausnahmen weckten ihr instinktives Misstrauen. Leider sei es ihnen von ihren Firmen untersagt, Anhalter mitzunehmen, hieß es.
Nakata hatte ziemlich lange gebraucht, um vom Stadtteil Nakano auf die Tomei-Autobahn zu kommen. Da er Nakano nie verließ, wusste er auch nicht, wo die Auffahrt zur Tomei-Autobahn war. Er hatte zwar schon, wenn es nötig war, mit seinem Behindertenausweis städtische Busse benutzt, aber mit der U-Bahn oder mit dem Zug, für die man eine Fahrkarte kaufen musste, war er noch nie allein gefahren.
Es war kurz vor zehn, als er Kleidung, Waschzeug und etwas Proviant in seinen Stoffbeutel packte, sein unter den Tatami verstecktes Geld sorgfältig in einem Bauchgürtel verstaute, seinen großen Regenschirm nahm und seine Wohnung verließ. »Können Sie mir sagen, wie ich am besten zur Tomei-Autobahn komme?«, fragte er den Busfahrer. Der aber lachte nur.
»Der Bus hier fährt nur bis zum Bahnhof Shinjuku. Die Stadtbusse fahren überhaupt nicht zur Tomei. Da müssen Sie einen Schnellbus nehmen.«
»Wo fahren denn die Busse zur Tomei-Autobahn ab?«
»Am Bahnhof Tokyo«, sagte der Busfahrer. »Sie fahren mit diesem Bus bis Shinjuku und nehmen von dort die U-Bahn zum Bahnhof Tokyo. Dort kaufen Sie sich eine Platzkarte und steigen in den Bus. So kommen Sie zur Tomei-Autobahn.«
Obwohl Nakata kaum etwas verstanden hatte, fuhr er erst einmal mit dem Bus zum Bahnhof Shinjuku, doch der war riesig. Es wimmelte derart von Menschen, dass er kaum richtig gehen konnte. Die Menge der dort abfahrenden Bahnen war so groß, dass er absolut keine Ahnung hatte, wie er die finden sollte, die zum Bahnhof Tokyo fuhr. Die Hinweisschilder konnte er natürlich nicht lesen. Er fragte mehrere Passanten nach dem Weg, aber ihre Erklärungen waren so schnell, so kompliziert und so voller eigenartiger Worte, dass Nakata sie sich nicht merken konnte. Als würde man sich mit dem Kater Kawamura unterhalten, dachte Nakata bei sich. Er wäre gern in ein Polizeihäuschen gegangen, um zu fragen, aber er fürchtete, für einen senilen alten Mann gehalten und festgenommen zu werden (er hatte das schon einmal erlebt). Während er herumirrte, wurde ihm von der schlechten Luft und dem Krach allmählich unwohl. Er schlug eine Richtung ein, in die nur wenige Menschen gingen, und entdeckte zwischen den Hochhäusern einen kleinen Park, wo er sich auf eine Bank setzte.
Lange Zeit blieb Nakata ratlos dort sitzen. Ab und zu sprach er mit sich selbst und strich sich über das kurze Haar. Es war auch keine einzige Katze in dem Park zu entdecken, nur ein paar Krähen durchstöberten die Abfalleimer. Nakata schaute ein ums andere Mal zum Himmel und schätzte die Zeit nach dem Sonnenstand. Von den Abgasen hatte der Himmel eine etwas seltsame Farbe.
Um die Mittagszeit kamen Leute, die in den umliegenden Gebäuden arbeiteten, in den Park, um ihr Mittagessen zu verzehren. Auch Nakata aß sein mitgebrachtes Bohnenmus-Brötchen und trank braunen Tee aus der Thermosflasche. Auf der Bank nebenan saßen zwei junge Frauen. Nakata sprach sie an. Ob Sie zufällig wüssten, wie er auf die Tomei-Autobahn käme. Sie sagten ihm das Gleiche wie der Busfahrer. Mit der Chuo-Linie bis zum Bahnhof Tokyo und von dort mit einem Schnellbus.
»Das hat Nakata vorhin versucht, aber es hat nicht geklappt«, sagte Nakata ehrlich. »Nakata hat Nakano bis jetzt nie verlassen, deshalb kann er nicht gut Bahn fahren. Nur Stadtbus. Er kann nicht lesen oder Fahrkarten kaufen. Er ist mit dem Stadtbus hergekommen, aber
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