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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Lastwagenfahrer und Hafenarbeiter; Krawattenträger ließen sich dort nie blicken. Stumm und mit ernsten Gesichtern verzehrten die Männer ihr Frühstück, als würden sie Brennstoff tanken. Im Raum ertönten nur das Klappern von Geschirr, die Stimme des Kellners, der die Bestellungen weitergab, und die des NHK-Nachrichtensprechers.
    Der junge Mann zeigte auf die an der Wand befestigte Speisekarte. »Bestell dir, was du magst, mein Freund. Hier ist’s billig und schmeckt.«
    »Jawohl«, sagte Nakata und betrachtete einen Moment lang die Speisekarte, als ihm plötzlich einfiel, dass er ja nicht lesen konnte.
    »Entschuldigen Sie, Herr Hoshino, aber Nakata ist etwas dumm und kann nicht lesen.«
    »Ha?«, machte Hoshino verdutzt. »Du kannst nicht lesen? Das ist heutzutage ja ungewöhnlich. Macht nichts. Ich nehme Grillfisch und japanisches Omelett. Soll ich dir das Gleiche bestellen?«
    »Ja. Grillfisch und Omelett mag Nakata sehr.«
    »Na prima.«
    »Nakata mag auch Aal.«
    »Hm, ja, ich auch. Aber morgens isst man doch keinen Aal, oder?«
    »Stimmt. Gestern Abend hat Herr Hagita Nakata zu Aal eingeladen.«
    »Prima«, sagte Hoshino. »Zweimal Grillfischmenü mit Omelett. Und eine Extraportion Reis!« rief er dem Kellner zu.
    »Muss doch unpraktisch sein, wenn man nicht lesen kann?«, fragte er Nakata.
    »Doch, manchmal ist es unangenehm. Solange Nakata in Tokyo bleibt, macht es nichts, aber wenn er aus Nakano raus ist, wie jetzt, gibt’s Probleme.«
    »Kann ich mir denken. Kobe ist auch ganz schön weit weg von Nakano.«
    »Ja. Nakata weiß nicht, wo Norden und Süden ist, nur rechts und links. Er verläuft sich und kann keine Fahrkarte kaufen.«
    »Immerhin hast du es bis hierher geschafft.«
    »Ja, verschiedene Damen und Herren waren so freundlich. Herr Hoshino ist einer von ihnen. Besten Dank.«
    »Nicht lesen zu können ist bestimmt ein Problem. Mein Opa war ja ziemlich daneben, aber lesen konnte er wenigstens.«
    »Jawohl. Nakata ist besonders dumm.«
    »Sind deine Leute alle so?«
    »Nein, gar nicht. Nakatas Bruder ist Abteilungschef bei etwas, das Itochu heißt. Und der andere Bruder arbeitet bei einem Amt für Industrie und Handel oder so.«
    »Aha«, sagte der Junge beeindruckt. »Richtige Überflieger. Nur du bist wohl ein bisschen daneben geraten.«
    »Jawohl. Nakata hatte irgendwann einen Unfall und wurde dumm. Deshalb passt er immer auf, dass er nicht vor die Leute geht und den Brüdern, Nichten und Neffen Unannehmlichkeiten macht.«
    »Ja, die Normalen mögen es sicher nicht, wenn einer wie du auftaucht.«
    »Nakata versteht keine schwierigen Sachen. Aber solange er in Nakano lebt, verläuft er sich nicht. Der Herr Gouverneur hilft Nakata, und mit den Katzen läuft es auch gut. Einmal im Monat ist Haareschneiden, und manchmal gibt es Aal. Aber wegen Johnnie Walker konnte Nakata nicht in Nakano bleiben.«
    »Johnnie Walker?«
    »Ja. Ein Mann mit Stiefeln und einem hohen schwarzen Hut. Er trägt eine Weste und hat einen Stock. Er fängt Katzen und nimmt ihre Seele heraus.«
    »Schon gut«, sagte Hoshino. »Lange Reden fallen mir auch schwer. Also irgendwas war, und du bist aus Nakano weg.«
    »Jawohl, Nakata hat Nakano verlassen.«
    »Und wohin willst du jetzt?«
    »Weiß noch nicht. Aber von hier will Nakata noch weiter über eine Brücke fahren. In der Nähe gibt es eine große Brücke.«
    »Also willst du nach Shikoku?«
    »Entschuldigen Sie, Herr Hoshino, Nakata kennt keine Orte. Kommt hinter der Brücke Shikoku?«
    »Genau. Es gibt hier drei große Brücken nach Shikoku. Es sind drei. Eine führt von Kobe über die Insel Awaji nach Tokushima. Eine beginnt unterhalb von Kurashiki und geht nach Sakaide, und dann gibt’s noch eine zwischen Onomichi und Imabari. Eine hätte vielleicht gereicht, aber die Politiker müssen sich ja immer überall reinhängen, und so sind’s drei geworden.«
    Der junge Mann träufelte etwas Wasser aus seinem Glas auf die Dekortischplatte und malte mit dem Finger eine einfache Karte von Japan. Dann zeichnete er die drei Brücken zwischen Honshu und Shikoku ein.
    »Sind die Brücken sehr groß?«, fragte Nakata.
    »Riesig, kein Witz!«
    »Aha. Nakata möchte jedenfalls über eine von den Brücken rüber. Vielleicht über die, die nah ist. Über das, was danach kommt, denkt Nakata später nach.«
    »Willst du nicht vielleicht doch zu Bekannten?«
    »Nein, Nakata hat gar keine Bekannten.«
    »Das heißt, du willst nur über eine Brücke nach Shikoku und dann irgendwohin?

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