Kafka am Strand
Nach zwei Lehrjahren wurde Nakata fest angestellt.
So ging es weiter, bis er über fünfzig war. Er hatte nie einen Unfall und war auch nie krank. Er trank nicht, rauchte nicht, er blieb weder lange auf noch aß er zu viel. Er sah nicht fern, und im Radio hörte er sich nur morgens die Gymnastik an. Tag für Tag fertigte er Möbel an. Seine Großeltern starben, seine Eltern starben. Nakata war bei allen beliebt, aber einen besonders guten Freund fand er nie. Da war eben nichts zu machen. Wenn ein normaler Mensch sich etwa zehn Minuten mit ihm unterhalten hatte, ging der Gesprächsstoff aus.
Nakata empfand sein Leben weder als besonders einsam noch unglücklich. Sexuelle Begierde verspürte er nicht, und er wünschte sich auch nicht, mit jemandem zusammen zu sein. Dass er anders war als andere Menschen, begriff er sehr wohl. Er hatte auch bemerkt, dass der Schatten, den sein Körper auf den Boden warf, dünner und heller aussah als der seiner Mitmenschen (von denen freilich keiner je etwas davon bemerkte). Die Einzigen, denen er sein Herz ausschütten konnte, waren die Katzen. An seinen freien Tagen ging er in einen Park in der Nähe, saß bis zum Abend auf einer Bank und unterhielt sich mit Katzen. Seltsamerweise gingen bei diesen Gesprächen die Themen nie aus.
Als Nakata zweiundfünfzig war, starb der Chef der Möbelfirma, und die Schreinerei wurde unverzüglich geschlossen. Die traditionellen Möbel in den düsteren Farben verkauften sich ohnehin längst nicht mehr so wie früher. Die Belegschaft bestand aus älteren Leuten, und jüngere hatten kein Interesse an diesem alten Handwerk. Die Schreinerei, früher inmitten von Feldern, lag inzwischen innerhalb eines Wohngebiets, weshalb unablässig Beschwerden über den Arbeitslärm und den Rauch, der beim Verbrennen der Sägespäne entstand, eingingen. Der Sohn des Geschäftsführers, der ein Steuerberaterbüro in der Stadt besaß, hatte natürlich nicht die Absicht, die Firma zu übernehmen, löste die Schreinerei sofort nach dem Tod seines Vaters auf und verkaufte sie an einen Makler, der das Werk abriss, das Gelände planierte und an einen Bauherrn verkaufte, der dort ein fünfstöckiges Apartmenthaus errichtete. Alle Apartments wurden bereits am ersten Tag verkauft.
So verlor Nakata seine Stelle. Da die Firma noch Schulden hatte, bekam er nur eine winzige Rente. Danach konnte er keine Arbeit mehr finden. Für einen über fünfzigjährigen Analphabeten, der nichts konnte als traditionelle Möbel anzufertigen, war es unmöglich, noch einmal eine Stelle zu finden.
Da Nakata siebenunddreißig Jahre lang treu in der Fabrik gearbeitet hatte, ohne je Urlaub zu nehmen, hatte er ein paar Ersparnisse auf der örtlichen Post. In seinem Alltag verbrauchte er nur sehr wenig Geld und hatte genügend gespart, um ein bequemes Alter zu verleben, auch wenn er nicht mehr arbeitete. Da er nicht lesen und schreiben konnte, verwaltete ein hilfsbereiter Cousin, Beamter bei der Stadt, seine Ersparnisse für ihn. Nun fiel dieser Cousin, der im Grunde gutherzig war, aber zu wenig Verstand hatte, einem gerissenen Spekulanten zum Opfer, indem er sich zu Investitionen in eine Hotelanlage in einem Skigebiet überreden ließ und total verschuldete. Er verschwand mit seiner ganzen Familie beinahe zur selben Zeit, als Nakata entlassen wurde. Offenbar waren ihm gewalttätige Geldeintreiber auf den Fersen gewesen. Über seinen Verbleib war niemandem etwas bekannt. Ja, man wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch am Leben war.
Nakata ließ sich von einem Bekannten zur Post begleiten, um seinen Kontostand zu überprüfen. Von seinem Geld war kaum noch etwas übrig. Auch die erst kürzlich überwiesene Abfindung war Teil des verschwundenen Guthabens. Nakata hatte das Pech, gleichzeitig die Arbeit und all sein Geld zu verlieren. Seinen Verwandten tat das sehr leid, doch sie waren alle selbst mehr oder weniger Opfer des Cousins geworden, der ihnen geliehenes Geld nicht zurückgezahlt hatte. Manche hatten sich auch als Bürgen zur Verfügung gestellt und waren zu unsicher, um etwas für Nakata tun zu können.
Schließlich nahm sich der ältere seiner jüngeren Brüder, der in Tokyo lebte, seiner an und kümmerte sich vorerst um ihn. Da er im Stadtteil Nakano ein Haus mit kleinen Wohnungen für Alleinstehende besaß (er hatte es als Erbe von seinen Eltern übernommen), gab er Nakata eine davon. Er verwaltete auch die – bescheidene – Summe, die seine Eltern Nakata hinterlassen hatten, und
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