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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Bank aus konnte er das Meer sehen. Es war schon sehr lange her, dass er es gesehen hatte. In seiner Kindheit war er oft mit seiner Familie zum Baden ans Meer gefahren und hatte in der Badehose am Wasser gespielt. Muscheln hatte er auch gesammelt. Aber seine Erinnerungen an diese Zeit waren höchst verschwommen, fast wie Ereignisse, die in einer anderen Welt geschehen waren. Er konnte sich nicht erinnern, das Meer danach noch einmal gesehen zu haben.
    Nach den seltsamen Ereignissen in Yamanashi war Nakata wieder in die Schule nach Tokyo zurückgekehrt. Zwar hatte er das Bewusstsein und seine körperliche Kraft zurückerlangt, doch all seine Erinnerungen waren verloren, und auch die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben, wollte sich partout nicht wieder einstellen. Das hieß, er konnte keine Schulbücher mehr lesen und keine Klassenarbeiten mehr schreiben. Sein bereits erworbenes Wissen war ihm restlos abhanden gekommen, und seine Fähigkeit zu abstraktem Denken hatte sich erheblich vermindert. Dennoch erhielt er einen Schulabschluss. Auch wenn er von den Fächern, die im Unterricht gelehrt wurden, fast nichts verstand, war er doch imstande, ruhig in einer Ecke des Klassenzimmers zu sitzen. Er befolgte genau, was man ihm sagte, und störte niemanden, was den Lehrern erlaubte, seine Anwesenheit so gut wie zu vergessen. Man könnte sagen, er war »Gast«, aber keine »Last«.
    Auch dass er vor seinem seltsamen »Unfall« ein hervorragender Schüler gewesen war, geriet bald in Vergessenheit. Nakata wurde bei allen schulischen Feierlichkeiten und Anlässen übergangen. Freunde fand er auch nicht, was ihm jedoch nichts ausmachte. Im Gegenteil, dank der mangelnden Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, konnte er nach Belieben in eine eigene Welt eintauchen. Gewisse Aufgaben in der Schule nahmen ihn völlig in Anspruch – er versorgte die kleinen Tiere (Hasen und Ziegen), die in der Schule gehalten wurden, er pflegte die Blumenbeete und machte im Klassenzimmer sauber. Diesen Arbeiten widmete er sich fröhlich und ohne sie je satt zu bekommen.
    Nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause wurde seine Existenz kaum noch zur Kenntnis genommen. Als klar wurde, dass ihr ältester Sohn nicht mehr lesen und richtig lernen konnte, wandten seine bildungsbewussten Eltern ihr gesamtes Interesse den jüngeren Brüdern zu und würdigten Nakata kaum noch eines Blickes. Da es sinnlos gewesen wäre, ihn auf einer öffentlichen Mittelschule anzumelden, schickte man ihn nach der Grundschule zu Verwandten seiner Mutter in Nagano, wo er eine Landwirtschaftsschule besuchte. Da er nicht lesen konnte, waren die Schulfächer eine Qual für Nakata gewesen, aber die praktische Arbeit auf dem Land gefiel ihm. Hätten seine Mitschüler ihn nicht so sehr gehänselt und gequält, wäre er wohl Bauer geworden. Aber sie verprügelten Nakata, der aus der Großstadt kam, derart, dass er ernsthafte Verletzungen davontrug (ein Ohrläppchen war eingerissen) und seine Großeltern beschlossen, ihn nicht weiter zur Schule zu schicken. Also ging er ihnen nur noch zu Hause zur Hand. Da er ein folgsames, artiges Kind war, liebten sie ihn sehr.
    Um diese Zeit merkte er, dass er die Katzensprache konnte. Im Haus der Großeltern lebten mehrere Katzen, und sie wurden Nakatas beste Freunde. Zuerst sprach er nur gebrochen mit ihnen, aber er strengte sich so sehr an, seine Fähigkeiten zu verbessern, als würde er eine Fremdsprache erlernen, und bald war er in der Lage, eine längere Unterhaltung zu führen. Wann immer er Zeit hatte, saß Nakata auf der Veranda und sprach mit den Katzen, die ihm die verschiedensten Dinge über die Natur und die Welt beibrachten. So hatte Nakata praktisch sein gesamtes Grundwissen über die Beschaffenheit der Welt von den Katzen gelernt.
    Mit fünfzehn begann er für eine Möbelfirma zu arbeiten, eigentlich eine Fabrik, in der Holz zu traditionellen Möbeln verarbeitet wurde. Die dort gefertigten Stühle, Tische und Kommoden wurden nach Tokyo geliefert. Die Arbeit mit Holz gefiel Nakata auf Anhieb. Da er sich von Anfang an recht geschickt anstellte, auch kleine, knifflige Aufgaben nie unordentlich ausführte und stets ohne Murren seine Arbeit tat, schloss sein Arbeitgeber ihn ins Herz. Auch wenn er keine Pläne lesen und nicht rechnen konnte, erledigte er alles, was sonst anfiel, mit großem Geschick. Wenn er sich das Muster eines Werkstücks einmal eingeprägt hatte, machte es ihm nichts aus, die gleiche Sache unermüdlich zu wiederholen.

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