Kafka am Strand
Ungeheuer?«
»Projektion und Austausch vom Selbst und dem Anderen …«, sagte Hoshino schüchtern.
»Genau. Solange du das verstehst, ist es ja gut. Das ist der Punkt. Mir nach! Schauen wir uns den bedeutenden Stein mal an. Also, wenn das kein Service ist.«
29
Vom öffentlichen Telefon in der Bibliothek rufe ich Sakura an. Mir ist eingefallen, dass ich mich nach meiner Übernachtung in ihrer Wohnung kein einziges Mal mehr bei ihr gemeldet habe. Ich schäme mich ein bisschen, weil ich nur eine so kurze Nachricht hinterlassen habe und einfach verschwunden bin. Anschließend habe ich geradewegs die Bibliothek aufgesucht, bin mit Oshima im Wagen zu seiner Hütte in den Bergen gefahren und habe dort, von der Außenwelt abgeschlossen, mehrere Tage verbracht. Dann bin ich in die Bibliothek zurückgekehrt, habe dort gelebt und gearbeitet und jede Nacht (so etwas wie) den lebendigen Geist von Saeki-san gesehen. Dabei habe ich eine tiefe Liebe zu der Fünfzehnjährigen gefasst. Es ist eben so viel passiert. Aber eine Entschuldigung ist das eigentlich nicht.
Es ist kurz vor neun Uhr abends, als ich bei ihr anrufe. Nach dem sechsten Läuten nimmt sie ab.
»Wo bist du überhaupt, und was machst du?«, fragt Sakura mit harter Stimme.
»Ich bin noch in Takamatsu.«
Eine Weile sagt sie gar nichts. Schweigt einfach nur. Im Hintergrund sind die Geräusche einer Fernsehsendung zu hören.
»Ich überlebe irgendwie«, füge ich hinzu.
Wieder kurzes Schweigen, dann seufzt sie ergeben.
»Aber du hättest nicht so Hals über Kopf abzuhauen brauchen, als ich nicht da war. Ich hab mir Sorgen gemacht und bin an dem Tag früher nach Hause gekommen. Extra eingekauft hatte ich auch.«
»Tut mir leid. Wirklich. Aber ich musste damals einfach gehen. Ich war so verwirrt und wollte mein Gleichgewicht wiedergewinnen und in Ruhe überlegen. Aber mit dir zusammen war ich … wie soll ich’s ausdrücken …«
»Zu stark stimuliert?«
»Mmhm. Ich war davor noch nie mit einer Frau zusammen.«
»Ach so.«
»Die weibliche Atmosphäre und so. Das ganze Drumherum eben …«
»Es ist ganz schön schwierig, wenn man jung ist.«
»Scheint so«, sage ich. »Hast du viel zu tun bei der Arbeit?«
»Total viel. Aber ich will ja auch sparen, deshalb ist es ganz gut so.«
Ich mache eine Pause und sage dann: »Weißt du, ehrlich gesagt, ich werde von der Polizei gesucht.«
Sakura schweigt einen Moment.
»Hat das eventuell etwas mit dem Blut zu tun?«, fragt sie dann behutsam.
Ich entschließe mich, vorläufig zu lügen. »Nein, nein, gar nicht. Sie suchen mich, weil ich von zu Hause abgehauen bin. Wenn sie mich finden, halten sie mich fest und bringen mich nach Tokyo zurück. Mehr ist nicht. Es könnte nur sein, dass die Polizei bei dir auftaucht. In der Nacht, als ich bei dir geschlafen habe, habe ich doch mit meinem Handy deine Nummer angerufen, und sie haben über die Telefongesellschaft rausgekriegt, dass ich in Takamatsu bin. Und auch deine Nummer.«
»Ach so«, sagt sie. »Wegen meiner Nummer brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Bei Prepaid-Handys kann man den Besitzer nicht ermitteln. Außerdem gehört es eh meinem Freund. Also könnten sie keine Verbindung zu meinem Namen und meiner Adresse herstellen, denn ich hab es nur geliehen. Da kannst du also beruhigt sein.«
»Gott sei Dank«, sage ich. »Ich will dir ja auch nicht noch mehr Schwierigkeiten machen.«
»Bei so viel Fürsorge kommen mir ja die Tränen.«
»Ich mein’s ehrlich.«
»Ich weiß«, sagt sie ungeduldig. »Und wo übernachtet unser Ausreißer zurzeit?«
»Bei Bekannten.«
»Ich dachte, du hättest hier keine Bekannten.«
Darauf kann ich keine Antwort geben. Wie soll ich ihr in Kürze erklären, was in all den Tagen geschehen ist?
»Das ist eine lange Geschichte«, sage ich.
»Bei dir scheint es ziemlich viele lange Geschichten zu geben.«
»Mmhm. Ich weiß nicht warum, aber es kommt immer so.«
»Du bist prädestiniert dafür?«
»Vielleicht«, sage ich. »Irgendwann, wenn wir Zeit haben, erzähle ich sie dir in aller Ruhe. Es geht nicht darum, dass ich was geheim halten will. Ich kann’s nur am Telefon nicht so gut erklären.«
»Du brauchst mir nichts zu erklären. Aber es ist kein fragwürdiger Ort, oder?«
»Nein, nicht im Geringsten. Total in Ordnung.«
Wieder seufzt sie. »Ich kenne ja deinen Charakter, du willst auf eigenen Füßen stehen, aber es wäre gut, wenn du es vermeiden könntest, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Du hast
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