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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Büchern über die Geschichte und die Legenden von Shikoku, mit denen er sich in den zwei Tagen in der Bibliothek beschäftigt hatte), hatte er, soweit er sich erinnern konnte, niemals ein Buch gelesen – von Comicheften einmal abgesehen.
    »Hast du’s denn gelesen?«
    Sie nickte. »Ich musste. Ich studiere Philosophie im Hauptfach und mache bald Examen.«
    »Aha«, sagte Hoshino beeindruckt. »Du jobbst also nur.«
    »Ich muss ja die Studiengebühren zahlen.«
    Dann führte sie den jungen Mann zum Bett und ließ ihre Finger und Zunge zärtlich über seinen Körper gleiten, sodass er sofort wieder eine Erektion bekam. Er stand wacker und fest, wie der Schiefe Turm von Pisa, wenn er den Karneval willkommen heißt.
    »Oha, Hoshino, du bist ja schon wieder munter«, sagte sie und begann langsam mit der nächsten Runde. »Hast du vielleicht einen speziellen Wunsch, den ich dir erfüllen kann? Herr Sanders hat mich beauftragt, dir den kompletten Service zu bieten.«
    »Mir fällt kein Wunsch ein, aber du könntest noch mal so was Philosophisches zitieren. Was, weiß ich nicht, aber vielleicht komme ich dann nicht so schnell. Wenn du so weitermachst, ist es sonst gleich wieder vorbei.«
    »In Ordnung. Er ist etwas altertümlich, aber wie war’s mit Hegel?«
    »Egal. Was du willst.«
    »Ich empfehle Hegel. Er ist ein bisschen altmodisch, aber du weißt ja – Oldies, but Goodies.«
    »Prima.«
    »›Ich ist der Inhalt der Beziehungen und die Beziehungen selbst.‹«
    »Hm.«
    »Hegel hat den Begriff des ›Selbstbewusstseins‹ beschrieben. Der Mensch nimmt sein Selbst und das Andere nicht einfach als getrennt wahr; indem er das Selbst auf ein vermittelndes Anderes projiziert, kann er aktiv sein Selbst besser begreifen. Das ist dann Selbstbewusstsein.«
    »Ich versteh kein Wort.«
    »Also, ich mache es dir jetzt, Hoshino. Für mich bin ich das Selbst, und du bist das Andere. Für dich ist es natürlich umgekehrt. Du bist das Selbst, und ich bin das Andere. Auf diese Weise tauschen wir Selbst und Anderes aus, Projektion entsteht, und wir etablieren unser Selbstbewusstsein. Aktiv. Vereinfacht gesagt.«
    »Ich versteh’s immer noch nicht, aber irgendwie spornt mich das an.«
    »Das ist der Punkt«, sagte sie.
     
    Als alles fertig war, er sich von der Frau verabschiedet hatte und wieder an den Schrein zurückkam, saß Colonel Sanders noch genau wie vorher auf der Bank und wartete auf ihn.
    »He, Colonel, haben Sie etwa die ganze Zeit hier gewartet?«, fragte Hoshino.
    Colonel Sanders schüttelte ärgerlich den Kopf. »Stell dich nicht blöder, als du bist. Glaubst du, ich sitze mir hier ewig den Hintern platt? Sehe ich aus, als hätte ich zu viel Zeit? Während du im Bett fröhliche Himmelfahrt gespielt hast, habe ich mich auf der Straße abgeschuftet und bin dann hierher zurückgehetzt. Wie war’s denn? Unsere Sexmaschine ist doch unschlagbar?«
    »Ja, toll. Da kann man nicht meckern. Es war super. Dreimal hat’s geklappt. Ich glaube, ich habe zwei Kilo abgenommen.«
    »Das ist die Hauptsache. Also, um auf den Stein zurückzukommen.«
    »Ja, das ist wichtig.«
    »Also, der Stein befindet sich im Wäldchen dieses Schreins.«
    »Der ›Eingangsstein‹?!«
    »Ja, der.«
    »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Colonel?«
    Colonel Sanders hob empört den Kopf. »Was soll das denn heißen? Spinnst du? Habe ich dich bis jetzt ein einziges Mal angelogen? Irgendwas gesagt, das nicht gestimmt hat? Ich hab dir eine prima Sexmaschine versprochen, und eine prima Sexmaschine hast du gekriegt. Auch noch zum Sonderpreis von 15000 Yen. Dreimal hat sie’s dir gemacht. Und du zweifelst noch an mir?«
    »Nein, natürlich glaube ich Ihnen. Regen Sie sich doch nicht so auf. Ich hab mich nur ein bisschen gewundert, weil alles so glatt läuft. Ich gehe auf der Straße, werde von einem Opa angesprochen, der sagt, er will mir erklären, wo der Stein ist, und ehe ich mich versehe, komme ich bei einer tollen Frau zum Schuss.«
    »Zu drei Schüssen.«
    »Meinetwegen zu drei. Aber jeder wäre doch erstaunt, wenn dann auch noch der gesuchte Stein zufällig genau an der gleichen Stelle sein sollte.«
    »So was nennt man eine Offenbarung, du Trottel.« Colonel Sanders schnalzte mit der Zunge. »Offenbarungen überschreiten die Grenzen des Alltäglichen. Was wäre das auch für ein Leben ohne Offenbarungen? Das Wichtigste ist, von der beobachtenden Vernunft zur handelnden Vernunft überzugehen. Verstehst du, was ich sage, du vergoldetes

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