Kafka am Strand
vergessen Sie diese Katze. Und kommen möglichst nie mehr in die Nähe dieses Grundstücks. Das rate ich Ihnen von ganzem Herzen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, aber nehmen Sie diese Warnung zum Dank für die Sardinen.«
Mit diesen Worten stand Okawa auf, blickte sich um und verschwand im hohen Gras.
Mit einem Seufzer nahm Nakata seine Thermosflasche aus dem Beutel und trank langsam und bedächtig seinen heißen Tee. Gefährlich, hatte Okawa gesagt. Andererseits war ihm bisher an diesem Gelände nichts Gefährliches aufgefallen. Er suchte ja nur eine gefleckte Katze, die sich verlaufen hatte. Was sollte daran gefährlich sein? Ob die Gefahr vielleicht von dem Mann mit dem komischen Hut ausging, dem »Katzenfänger«, von dem Kawamura gesprochen hatte? Aber Nakata war ein Mensch und keine Katze. Aus welchem Grund sollte ein Mensch sich vor einem Katzenfänger fürchten?
Andererseits gab es so vieles auf der Welt, das sich Nakatas Vorstellungen entzog, und massenhaft Gründe für alles Mögliche, die er nicht verstand. Da gab er es lieber auf nachzudenken. Wenn er sein unzulängliches Gehirn überbeanspruchte, bekam er nur Kopfschmerzen. Nakata trank seinen Tee gewissenhaft aus, schraubte den Deckel der Thermoskanne zu und verstaute sie wieder im Beutel.
Nachdem Okawa im Gras verschwunden war, ließ sich längere Zeit keine Katze blicken. Nur die Schmetterlinge flatterten friedlich über der Wiese. Eine Schar Spatzen flog herbei, zerstreute sich, fand wieder zusammen und flog davon. Nakata nickte mehrmals ein und schreckte wieder hoch. Die Zeit las er am Sonnenstand ab.
Es war gegen Abend, als der Hund auftauchte.
Ganz plötzlich stand er vor Nakata im Gras – riesig und lautlos. Von Nakatas Platz aus sah er eher wie ein Kalb als wie ein Hund aus. Ein großer schwarzer Hund. Hochbeinig mit kurzem Fell. Seine Muskeln waren wie aus Stahl und voll ausgebildet. Scharf wie Messerspitzen standen seine Ohren in die Höhe. Er trug kein Halsband. Nakata kannte sich mit Hunderassen nicht aus, aber selbst er erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um einen aggressiven Hund handelte – zumindest um einen, der aggressiv werden konnte, wenn es verlangt wurde. Ein Hund, wie er zu militärischen Zwecken eingesetzt wird.
Sein Blick war bohrend und ausdruckslos, wie Lappen hingen die Lefzen von den Seiten seines Mauls, aus dem scharfe weiße Reißzähne hervorschauten. Blutspuren waren darauf zu erkennen. Bei genauerem Hinsehen klebten auch noch schleimige Fleischfetzen an seinen Lefzen. Wie eine Flamme leuchtete die tiefrote Zunge zwischen den Zähnen hervor. Der Hund starrte Nakata direkt ins Gesicht. Lange Zeit, lautlos, regungslos. Auch Nakata schwieg. Mit Hunden konnte er ja auch nicht sprechen. Die einzigen Tiere, mit denen er das konnte, waren Katzen. Kalt und leblos glänzten die Augen des Hundes, wie Glasperlen in morastigem Wasser.
Nakata atmete ruhig und verhalten. Er hatte keine Angst. Natürlich war ihm bewusst, dass er sich in Gefahr befand. Er konnte auch ungefähr abschätzen, dass ihm ein Wesen mit feindseligen und bedrohlichen Absichten (welchen, wusste er nicht) gegenüberstand. Aber er konnte nicht begreifen, dass unmittelbar Gefahr für ihn bestand. Der Tod war schon immer außerhalb seines Vorstellungsvermögens gewesen. Und Schmerzen kannte er bisher eigentlich nicht. Sich fiktive Schmerzen auszumalen, dazu war er nicht imstande. Also fürchtete er sich auch nicht vor dem Hund, obwohl dieser so nah vor ihm stand. Ihm war nur ein wenig ungemütlich.
STEH auf, sagte der Hund.
Nakata stockte der Atem. Der Hund redete! Doch in Wahrheit hatte der Hund gar nicht gesprochen. Sein Maul hatte sich nicht bewegt. Doch auf irgendeine Weise hatte er Nakata seine Botschaft übermittelt.
STEH auf und komm mit, befahl der Hund.
Gehorsam erhob sich Nakata vom Boden. Er überlegte, ob er den Hund irgendwie begrüßen sollte, entschied sich aber dagegen. Selbst wenn der wirklich sprechen konnte, würde es nichts helfen. Außerdem verspürte Nakata nicht die geringste Lust, mit dem Hund zu reden oder ihm einen Namen zu geben. Auch in hundert Jahren würde dieser Hund nicht sein Freund werden.
Plötzlich kam Nakata der Gedanke, dass der Hund vielleicht etwas mit dem Gouverneur zu tun hatte. Vielleicht hatte der Gouverneur den Hund geschickt, um ihm die Unterstützung zu streichen, weil er dahinter gekommen war, dass Nakata für das Katzensuchen Honorar bekam. Es wäre nicht verwunderlich, wenn
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