Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
den Vorhang ein Stückchen beiseite. Vor dem Fenster breitet sich wie eine Mauer nichts als tiefe Dunkelheit aus.
    »Als ich so ziemlich genau in deinem Alter war«, sagt Oshima, während er ein paar Beutel Kamillentee in eine Kanne gibt, »bin ich oft hergekommen und war hier ganz allein. Ohne jemanden zu sehen oder mit jemandem zu sprechen. So halb hat mich mein Bruder dazu gezwungen. Für jemanden mit meiner Krankheit ist das sehr ungewöhnlich. An einem solchen Ort allein auf sich gestellt zu sein ist ziemlich gefährlich, aber darauf hat mein Bruder keine Rücksicht genommen.«
    Oshima wartet, an die Küchentheke gelehnt, darauf, dass das Wasser kocht.
    »Ich vermute, mein Bruder wollte mich abhärten, weil er glaubte, das sei notwendig für mich. Und es war wirklich gut. Das Leben hier war eine Erfahrung, die mir sehr viel bedeutet. Ich habe eine Menge Bücher gelesen und konnte in aller Ruhe nachdenken. Ehrlich gesagt, bin ich in dieser Zeit kaum zur Schule gegangen. Ich mochte die Schule nicht, und die Schule war auch nicht besonders scharf auf mich. Weil ich anders war als die anderen. Nur auf der Mittelschule hatten sie etwas Verständnis für mich, aber danach war ich ganz allein. Wie du jetzt. Hab ich das schon mal erzählt?«
    Ich schüttele den Kopf. »Sind Sie deshalb jetzt so nett zu mir?«
    »Deshalb auch«, sagt er und macht eine kleine Pause. »Aber nicht nur deshalb.«
    Oshima reicht mir eine Teetasse und trinkt selbst auch. Der Kamillentee beruhigt meine von der langen Fahrt gereizten Nerven.
    Oshima sieht auf die Uhr. »Ich muss bald wieder los, deshalb gebe ich dir gleich mal einen groben Überblick. Ganz in der Nähe gibt es einen sauberen Bach, aus dem du dir Wasser holen kannst. Es kommt direkt aus der Quelle, also kannst du es so trinken. Es ist von besserer Qualität als das Mineralwasser, das man hier in der Gegend zu kaufen bekommt. Hinter der Hütte ist ein Stapel Feuerholz, mit dem du, wenn dir kalt ist, den Ofen anzünden kannst. Hier kann es ziemlich frisch werden. Ich habe sogar schon im August den Ofen angemacht. Du kannst darauf auch einfache Mahlzeiten kochen. Im Schuppen hinter dem Haus sind noch alle möglichen Gerätschaften und Werkzeuge. Dort kannst du dir suchen, was du sonst noch brauchst. In der Kommode sind Klamotten von meinem Bruder, da kannst du dich auch bedienen. Er sagt, jeder kann seine Sachen tragen. Er ist in solchen Dingen nicht besonders heikel.«
    Die Arme in die Hüften gestützt, schaut Oshima sich in der Hütte um.
    »Wie du siehst, wurde die Hütte nicht gerade zu romantischen Zwecken gebaut. Aber wenn man hier einfach nur wohnen will, ist sie nicht unpraktisch. Einen Rat muss ich dir noch geben. Es ist besser, du gehst nicht in den Wald. Er ist sehr, sehr tief, und es gibt keine richtigen Wege. Solltest du doch hineingehen, bleib in Sichtweite der Hütte. Sonst könntest du dich verirren, und wer sich einmal darin verirrt hat, hat Schwierigkeiten, wieder zurückzufinden. Ich habe das selbst schon erlebt. Es war schrecklich. Damals bin ich einen halben Tag kreuz und quer durch den Wald geirrt, nur ein paar hundert Meter von hier entfernt. Wenn du meinst, in einem so schmalen Ländchen wie Japan könnte man sich nicht im Wald verlaufen, hast du dich getäuscht. Der Wald hört überhaupt nicht mehr auf, wenn du einmal drin bist.«
    Ich präge mir seine Warnung ein.
    »Solange kein Notfall besteht, versuchst du besser gar nicht erst, hier wegzukommen. Die nächste Siedlung ist zu weit. Du wartest, bis ich dich abhole. Ich komme wahrscheinlich in zwei oder drei Tagen. Bis dahin sind genug Lebensmittel da. Hast du übrigens ein Handy?«
    »Ja.« Ich deute auf meinen Rucksack.
    Er grinst.
    »Tja, das brauchst du gar nicht erst auszupacken. Mobiltelefone funktionieren hier oben nicht. Die Wellen kommen nicht an. Radio kann man natürlich auch nicht hören. Das heißt, du bist völlig von der Welt abgeschlossen. Du musst die ganze Zeit lesen.«
    Mir fällt plötzlich noch eine sehr bodenständige Frage ein. »Wo soll ich denn hingehen, wenn es keine Toilette gibt?«
    Oshima breitet beide Arme aus. »Der ganze riesige, tiefe Wald gehört jetzt dir. Du kannst selbst entscheiden, wo die Toilette ist.«

14
    Nakata verbrachte mehrere Tage auf dem eingezäunten Bauplatz. Nur einmal, als es vom Morgen an heftig regnete, blieb er zu Hause und machte kleinere Holzarbeiten, doch sonst saß er den ganzen Tag auf dem Gelände im Gras und wartete darauf, dass die

Weitere Kostenlose Bücher