Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)
auf die er auch Felice zu verpflichten suchte, wirkt alles andere als überzeugend:
»Meine Eltern sind, wie auch Deine, auf das Äusserliche angewiesen, denn sie stehen im Grunde ausserhalb unserer Angelegenheit. Sie wissen nichts als was sie durch das Bureau erfahren, wir wissen mehr oder glauben mehr zu wissen und jedenfalls wissen wir anderes und wichtigeres – auf uns bezieht sich also das Bureau gar nicht, es ist also eine Angelegenheit unserer Eltern, die man ihnen zum Spiel, um sie zu beschäftigen, gönnen kann.« [312]
Sätze, die ein wenig zu forciert sind, zu sehr auf Beschwichtigung zielend, um ganz wahr zu sein. ›Verloben wir uns also zum Spiel, treten wir zum Spiel vor die Eltern und vor den Standesbeamten‹, hätte Felice antworten können, und es wäre schwer gewesen, dem zu widersprechen. Hatte man die Welt der Schadchen, der Eheverträge und ›guten Partien‹ erst einmal hinter sich gelassen, dann konnte man ebenso gut noch ein wenig Komödie spielen, und sei es um des lieben Friedens willen. Doch Komödie verlangt Distanz und Autonomie. Kafka aber blieb hinter dem Leitbild des autonomen Paares , das er Felice vorhielt, mit seinem eigenen, inkonsistenten Verhalten weit zurück. Erst bedrängte er die Mutter, ihre Nachforschungen nun doch lieber sein zu lassen, um die Braut nicht unnötig zu kränken, dann wieder ließ er sie einen Briefentwurf lesen, mit dem er sich bei den Bauers ganz offiziell um Felice bewarb – für Kafkas Eltern natürlich das Signal, dass nun die allerletzte Gelegenheit war, um des eigenen Namens willen den allzu weltfremden Sohn unter Kuratel zu nehmen. Ohne noch länger zu »bitten«, eilte Julie Kafka am nächsten Tag in eine Prager Auskunftei und bestellte ein Dossier über den Versicherungsvertreter Carl Bauer, Berlin-Charlottenburg, Wilmersdorfer Straße 73.
Peinlich war diese Geschichte, und nur allzu gern hätte jetzt Kafka alles in Stillschweigen erstickt, selbst um den Preis, für feige zu gelten. Doch das ließ Felice nicht zu. In ihrer Umgebung wurde ermittelt, und das ging nicht ohne Geräusche ab, die den Bauers natürlich zu Ohren kamen. Also hatte Franz wieder einmal nachgegeben. Oder respektierten ihn seine Eltern nicht? Gleichviel, die Braut wollte nun wissen, wie es ausgegangen war, denn allzu hoch war der Einsatz.
»Meine liebste Felice, es ist richtig, ich habe jetzt die Auskunft von der Mutter überreicht bekommen. Es ist ein grosses ebenso grausliches wie urkomisches Elaborat. Wir werden noch darüber lachen. […] es ist wie von jemandem geschrieben, der in Dich verliebt ist. Dabei ist es unwahr in jedes Wort hinein. Ganz schematisch, es sind wahrscheinlich wahre Auskünfte überhaupt nicht zu bekommen, selbst wenn das Bureau die Wahrheit überhaupt erfahren könnte. Und trotzdem beruhigt es meine Eltern tausendmal mehr als mein Wort. – Denke nur, der Gewährsmann lügt sogar unverschämt, seiner Meinung nach zu Deinen Gunsten. Was glaubst Du ›hört man von Dir besonders‹? ›Man hört von Dir besonders, dass Du gut kochen kannst.‹ So etwas! Natürlich weiss er nicht, dass Dir das in unserem Haushalt gar nicht nützen wird oder dass Du wenigstens vollständig umlernen müsstest.« [313]
Charmant. Auch diese Tonart also beherrscht er. Freilich, während Kafka die Komik jenes »Elaborats« in den schönsten Farben malt, und so unschuldig, dass man es am Esstisch der Bauers auch ganz gewiss wird vorlesen können, entgeht ihm, dass durch seinen eigenen, verdächtig gut gelaunten Brief eine feinere, soziale Komik perlt. Er möchte nach den Eltern nun auch Felice beruhigen, und er tut es in genau der Weise, wie man damals glaubte, Frauen beruhigen zu müssen: Jawohl, Felice, Dein Ruf ist tadellos. Doch das wusste die Braut auch vorher schon. Über Geld hingegen kein Wort, und wie eigentlich die Eltern jenes Dossier aufgenommen hatten, ob erfreut oder eben nur beruhigt, bleibt unklar.
Kafkas gute Laune war echt: Denn auch er war darüber erleichtert, dass die (offenbar nicht besonders gründlichen) Nachforschungen in Berlin nicht irgendwelche Überraschungen zutage gefördert hatten, die den engstirnigen Pragmatismus der Eltern wieder einmal hätten triumphieren lassen. Es war noch einmal gut gegangen. Dass er es jedoch überhaupt so weit hatte kommen lassen, verzieh er sich nicht, und eine neue Woge von Schuldgefühlen schlug über ihm zusammen und raubte ihm den Schlaf. Er hatte versagt, hatte sich schon bei den ersten
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