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Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Titel: Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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– die Kafka durchaus bekannt waren –, dass Brod gerade in dieser Angelegenheit keinen guten Rat annahm und jeden Selbstzweifel verweigerte. Was Kraus und seine Adepten antrieb, schien ihm reine Destruktivität, ›Gehässigkeit‹, wie seine Lieblingsvokabel lautete; sie liebten die Zerstörung um ihrer selbst willen, und es war, so glaubte er, nicht nur unmöglich, sondern auch zutiefst überflüssig , sich mit jemandem sachlich auseinander zu setzen, dem es gar nicht um die Sache, sondern um narzisstischen Triumph ging, um den Triumph des Heckenschützen.
    Dass Brod hier womöglich Ursache und Wirkung vertauschte, kam ihm keinen Augenblick in den Sinn. Denn in Wahrheit – und die Tiraden gegen Kraus, die sich Brod noch Jahrzehnte später in seiner Autobiographie leistete, machen das viel sinnfälliger, als es den Zeitgenossen je sein konnte – in Wahrheit hasste er Kraus nicht, weil ihn dessen destruktive Kritik empörte, sondern er hasste Kritik, weil Kraus ihn getroffen hatte. »Wozu Kritik?«, hatte er bereits zwei Jahre {403} zuvor gefragt, damals noch ausdrücklich an die Adresse des Unerbittlichen. »Es sollte Dichtung geben und theoretische, ins feinste ausgearbeitete Ästhetik. Zwischenstufen sind tückisch, schädlich, häßlich, nutzlos.« [374]   Ein Gedanke, in dem es sich Brod mittlerweile bequem machte und der sich zu einem Habitus verfestigt hatte, zu einem bedingungslosen Willen zum Positiven. Kritisches Bewusstsein, kritisches Handwerkszeug schienen ihm nicht mehr nur hässlich, sondern schlechterdings unethisch. Brod konnte sehr nervös werden, wenn auch nur der Gedanke aufkam, der harmlose Humor in seinem eigenen Werk – etwa im chaotischen Idyll der WEIBERWIRTSCHAFT – habe etwas mit Menschenkritik oder gar Ironie zu tun. So belehrte er den Schriftsteller und Journalisten Karl Hans Strobl, der ihn zur Mitarbeit an einer neuen Zeitschrift eingeladen hatte:
»Ich glaube aber auch, daß ich die Punkte Ihres Programms, die Sie in Ihrer Privatzuschrift für mich auslassen, nämlich ›Freudigkeit, aufbauende Kraft ‹ , sehr froh akzeptieren kann; denn gerade das Positive an meinen Arbeiten ist mir das Wesentlichste und nicht, wie Sie vielleicht glauben, eine gewisse Ironie. Im Grunde hasse ich nichts so sehr als Ironie , unbegründete Skepsis, Nörgelei.« [375]  
    Für Freudigkeit und aufbauende Kraft begeisterte sich Brod freilich erst, seit Bubers Auftritte in Prag ihn davon überzeugt hatten, dass literarische Intelligenz sich nicht unbedingt über Distanz, Beobachtung und Kritik zu definieren brauchte. ›Avantgarde‹ konnte auch heißen: die Fundamente legen zu einem gemeinschaftlichen Werk, Neues schaffen, mitmachen. Die kollektiven Energien, mit denen Buber die deutschen Juden aus einem kulturellen Niemandsland zu erlösen hoffte, bedeuteten ja nicht zuletzt die Verheißung, dass man überhaupt einmal irgendwo mittun durfte, ohne Vorbehalte, ohne schlechtes Gewissen, und gerade auf den leicht entflammbaren, in tausend Interessen und Projekten sich verzettelnden Brod wirkte diese Verheißung unwiderstehlich. Er liebte das Pathos, das romantizistisch aufgesteilte Vokabular, das die Prager Kulturzionisten von Buber gelernt hatten. Und er liebte es nicht zuletzt deshalb, weil es stark machte gegen Kränkungen: Karl Kraus, das war nun kein persönlicher Gegner mehr, er war ein Verirrter, der wurzellose Westjude par excellence, ein bedauernswerter Fall . Kein Feind, nur mehr ein Feind bild . Gewiss, als Verführer war er gefährlich genug, er unterhielt die Leute, und alle seine Lesungen waren ausverkauft. Doch das Gift, das er {404} streute, lähmte nicht mehr, und der seelenzerrüttende Solipsismus, den er repräsentierte, war zum Untergang verurteilt.

    »Was habe ich mit Juden gemeinsam?«, fragte sich Kafka wenig später. »Ich habe kaum etwas mit mir gemeinsam«. [376]   Brods wiederholte Predigten über ›Gemeinschaft‹ und ›jüdische Nation‹ machten ihn nervös, und nachdem er ihn im Herbst 1913 beschieden hatte, für Gemeinschaftsgefühle habe er keinerlei Ressourcen, machte sich eine schleichende Entfremdung bemerkbar, über die auch Brod nicht gänzlich hinwegsehen konnte. Freilich kannte er Kafka gut genug, um zu wissen, dass hier wieder einmal Trotz im Spiel war. Kafka übertrieb. War es denn nicht die Sehnsucht nach Gemeinschaft gewesen, die ihn – es war ja nicht einmal zwei Jahre her – immer wieder in die Vorstellungen jener dubiosen jüdischen Theatertruppe

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