Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)
tragischen und idyllischen Szenen kann eine gewisse giftige Polemik in unseren Tagen nicht verwechselt werden. Spricht sich in jenen die Verlassenheit des edlen Gemüts aus, das an seine unsterbliche Quelle zurückstrebt: so hat hingegen in dieser ein Übermaß von Verwicklung und Eifer das Wort, die Gereiztheit einer Seele, die sich in kleinen Gegenständen zu verlieren, immer tiefer zu verketten sucht, die endlich auf ihre ganz persönlichen Angelegenheiten herabgedrückt wird, wobei sie dem Ärger und der satirischen Betätigung immer sicherer verfällt. Das Jahrbuch ›Arkadia‹ will sich von dieser gehässigen Stellung gegen die Welt abgrenzen.«
Das saß. Und wer Augen hatte zu lesen, wusste, welch finstere Macht es war, auf die hier der ausgestreckte Finger wies.
Brod aber, blind vor Ungeduld, hätte wohl besser auf seinen friedliebenden Berater gehört. Denn das Vorwort zu einem Sammelband, der nicht Polemik, sondern »ausschließlich und in Reinheit die dichterisch-gestaltenden Kräfte der Zeit« präsentieren sollte, war der denkbar ungeeignetste Ort für eine derartige Attacke. Dass Brod hier gleichsam mit der linken Hand durchstrich, was er mit der rechten dekretierte, wäre wohl keinem seiner Beiträger entgangen – wäre er denn informiert gewesen. Doch Brod selbst fährt fort: »eine persönliche Übereinstimmung der Dichter untereinander und mit den hier vorgetragenen Richtlinien wurde weder vermutet, noch angestrebt« – was doch wohl nur bedeuten konnte, dass die Autoren gar keine Gelegenheit hatten, mäßigend einzugreifen. [370]
Auch im Verlag hatte man offenbar tief geschlafen. Das war peinlich insofern, als eben jetzt Kurt Wolff, nach heftigem Drängen Werfels, in Verhandlungen mit Karl Kraus getreten war, dessen Vertrauen gewonnen hatte und daher hoffen durfte, einen ersten wirklichen Star zu verpflichten. Nun fühlte sich aber Kraus »von einem der unglücklichsten Hysteriker, die sich je in Liebe und Haß um mich herumgeschmiert haben, von dem bekannten Brod , beschimpft« [371] , und Wolff blieb nichts übrig, als sich zu entschuldigen und sich von Brods Ausfällen unmissverständlich zu distanzieren. Immerhin ließ der empfindliche Kraus sich so weit beschwichtigen, dass er bereit war, auf ein wiederholtes Angebot einzugehen. Als er jedoch in einer weiteren Neuerscheinung aus dem Kurt Wolff Verlag, nämlich in Hillers WEISHEIT DER LANGENWEILE, den diesmal explizit gegen ihn gerichteten {400} Vorwurf der »Unaufrichtigkeit« entdeckte, war das Maß voll, und in einem langen Brief, in dem Kraus gleichwohl seine Sympathie für den jungen Verleger beteuerte, trat er von zwei bereits unterzeichneten Verlagsverträgen zurück.
Auch Brod selbst sollte keineswegs ungeschoren davonkommen. Das Imperium schlug zurück: ›Max Brod. Eine technische Kritik mit psychologischen Ausblicken‹ lautete der Titel eines Essays, der am 15.Juli 1913 in der Zeitschrift Der Brenner erschien. Verfasser war der Wiener Literaturliebhaber und Kraus-Verehrer Leopold Liegler, der mit Rücksicht auf seinen Beruf als Buchhalter unter dem (freilich leicht zu verifizierenden) Pseudonym »Ulrik Brendel« publizierte. Liegler zeichnet Brod als einen Autor, der ausschließlich von der Routine lebt und dem die trivialsten Stoffe gerade recht sind. Es sei reiner Snobismus – erhoffter Distinktionsgewinn, wie man heute sagen würde –, der Brod ins Vulgäre, ja bis an den Rand der Pornographie treibe. Und das bei mangelhaft ausgeprägtem Sprachgefühl, das ihn nicht einmal vor grammatischen Schnitzern bewahre (wobei es vor allem Pragismen sind, die Liegler als Exempel anführt).
Hätte Brod kühlen Kopf bewahrt, es wäre nicht schwer gewesen, diesen Hieb elegant zu parieren. Denn allzu offensichtlich legte Liegler hier die Elle eines epigonalen Klassizismus an, der sich in Phrasen wie »innere Gesichte«, »Quell des Lebens« und »Wesenheit der Welt und der Gottheit« erging, ohne jeden Sinn für die Wahrheitsfunktion ästhetischer Schockwirkungen. Brods Liebesgedichte, moniert Liegler allen Ernstes, »wurden immer im Bett konzipiert«. »Ja, wo denn sonst?«, hätte hier Werfel ausgerufen, aber von dessen unschuldigem Vitalismus hatte sich eben Brod schon allzu weit entfernt, und von den eigenen erotischen Frechheiten ebenfalls.
Brod begriff nicht, dass seine Neigung, alles, was er früher gedacht, gesagt, geschrieben hatte, stets nur als Vorstufen dessen zu betrachten, wovon er im Augenblick überzeugt war,
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